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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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wünsche.«
    »Danke, mache ich«, sagte Caroline.
     
    Der Traum war völlig real gewesen, sie hatte sich wieder auf dem Berg befunden.
    Sie konnte den Pulverdampf riechen. Die Bergluft war frisch und kalt, das goldgelbe Laub fiel wie Sternschnuppen zu Boden. Skye, die unmittelbar hinter ihr war, hielt den Atem an. Caroline kroch durch das Unterholz, bis sie das Wild entdeckte, das Skye erlegt hatte. Groß, braun und zusammengekrümmt lag es da. Sie wollte es nicht anschauen, aber sie zwang sich dazu, um ihrer Schwester willen.
    Es war ein Mensch. Ein Mann in einer rehbraunen Cordjacke. Seine Haare schimmerten rötlich in der Sonne. Seine Augen waren weit aufgerissen, fassungslos. Ihre Blicke trafen sich, als Caroline sich neben ihn hockte. Sie wusste, dass sie ihm in die Augen schauen musste und nicht wegsehen durfte. Deshalb nahm sie nur flüchtig die Wunde in seiner Brust und das Blut wahr, das wie eine Quelle daraus hervorsprudelte.
    Caroline hörte, wie Skye hinter ihr wimmerte und zu schluchzen begann. Sie spürte, wie der Hund des Mannes, ein junger Golden Retriever, sie mit seiner feuchten Nase anstieß und versuchte seinen Besitzer und die Fremde, die sich über ihn beugte, abzulecken. Sie spürte die eisige Luft, als sie den Reißverschluss ihrer roten Jacke öffnete und sie auszog. Und sie spürte sein Blut auf ihren Fingern, unglaublich heiß, als sie die Jacke auf seine Wunde presste.
    »Habe ich ihn erschossen? Sag doch! Sag doch! O Gott, was habe ich nur getan?«
    Caroline, die ihre Schwester noch nie im Leben ignoriert hatte, ignorierte sie nun.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie und blickte in die Augen des Mannes.
    »Andrew«, murmelte er. Er war nicht viel älter als Caroline, etwa im gleichen Alter wie die jüngeren Lehrer an ihrem College.
    Seine Augen waren hell und klar. Sie blickten ruhig und sanft, Caroline versichernd, dass er glaubte, dass sie ihr Bestes tun würde, um ihm zu helfen. Zuerst war keine Spur von Angst in ihnen gewesen. Jede Sekunde schien länger als ein Herzschlag zu währen. Caroline spürte, wie das Blut stoßweise seinem Körper entwich, ihre Jacke tränkte, zwischen ihren Fingern im Boden versickerte. Ihr Lagerplatz war nur fünf Meilen weit weg, direkt an dem unbefestigten Weg, aber die Entfernung war viel zu groß. Sie würden es nie im Leben schaffen, rechtzeitig Hilfe zu holen. Die Zeit stand still – für Caroline und Skye Renwick, für Andrew und seinen Hund.
    »Ich dachte, er wäre ein Reh«, schluchzte Skye.
    Der Himmel war strahlend blau. Ein herrlicher Tag. Der Hund ließ sich nicht davon abbringen, am Blut des Mannes zu schnüffeln und ihn abzulecken.
    »Homer«, sagte Andrew schwach.
    »Das ist noch ein ganz junger Hund, oder?«, fragte Caroline, die den rundlichen Körper und das verspielte goldfarbene Gesicht bemerkte. Er war noch nicht ausgewachsen.
    »Ja«, antwortete Andrew.
    »Ruf ihn, Skye. Ruf einfach Homer«, sagte Caroline. Der Hund hatte Blut an der Schnauze, und sie dachte, Andrew würde es mit der Angst zu tun bekommen, wenn er das Blut entdeckte.
    »Homer!« Skye bemühte sich, brachte aber nicht mehr als ein Krächzen zu Stande. »Komm her.«
    Der Hund lief zu ihr. Andrew wandte seine Augen von Caroline ab. Sie folgten dem Hund, der sich entfernte, dann kehrten sie zu Caroline zurück.
    »Ich werde sterben, oder?«
    Caroline wusste, dass es so war. Sie sah, wie seine Lippen weiß wurden, und hatte das Gefühl, dass sein Blut langsamer floss. Sie hörte, wie ihre Schwester hinter ihr weinte, wie der Hund zu Andrew zurückkehrte und sich zwischen sie drängte, um seinem Herrn näher zu sein. Caroline dachte an Joe Connor, an die Lektion, die sie gelernt hatte. Es war wichtig, die Wahrheit zu sagen, wenn es um den Tod ging. Es war das Mindeste, was man einem Menschen schuldig war.
    »Ich glaube, ja«, sagte sie.
    »O Gott!« Andrews Augen weiteten sich vor Angst. Sie konnte den Anblick kaum ertragen. Caroline presste ihre Jacke fester gegen die Wunde in seiner Brust, aber sie wusste, dass es nichts nützte. Er rang die Hände. Homer wimmerte wie ein Mensch, ein abgrundtiefes Weinen. Skye stand so dicht hinter ihr, dass sie das Zittern ihrer Beine an ihrem Rücken spürte.
    »Das wollte ich nicht«, schluchzte Skye. »Ich dachte, er wäre ein Reh.«
    »Homer«, sagte Andrew.
    Der Hund leckte Andrews Gesicht. Caroline sah, dass ihm die schlichte Geste ein Trost war. Während sein Leben zwischen ihren Fingern zerrann, sah sie, dass ihm die

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