Wo unsere Träume wohnen
willst.“
George verstaute das Handy in der großen Cargo-Tasche seiner Jeans und zog den Reißverschluss zu. Anders als Julian, der im Jahr mindestens sechs Paar neue Handschuhe brauchte, verlor George nie etwas. Violet küsste ihn noch mindestens zehn Mal, bevor sie ihn losließ und ihm nachwinkte, als er zu Mitch in den Pick-up kletterte. Violet spürte, wie Rudy hinter sie trat.
„Der gerissene kleine Kerl hat Mitch geschrieben“, sagte sie. „Kannst du das glauben?“
„Ihm geschrieben? Wie?“
Inzwischen konnte Violet darüber lachen und war sogar ein wenig stolz auf ihren Sohn. Jetzt, da sie den ersten Schock überwunden hatte. „In der Schule nehmen sie gerade die Buchstaben durch. Offenbar habe ich einen von Mitchs Briefen offen herumliegen lassen. George hat die Adresse abgeschrieben, sich Papier und eine Briefmarke aus meinem Vorrat in der Küchenschublade genommen …“ Seufzend schüttelte sie den Kopf.
„Wir werden ihn im Auge behalten müssen“, sagte Rudy schmunzelnd.
Wir. Das klang schön. „Wie um alles auf der Welt hast du ihn dazu gebracht, mit Mitch essen zu gehen?“, fragte sie leise.
„Das weiß ich auch nicht genau“, erwiderte Rudy, so nah, dass sie seinen Atem am Nacken spürte. „Ich habe einfach nur gesagt, was mir in den Sinn kam, und gebetet, dass es das Richtige ist.“
Sie drehte sich um und sah die Fragezeichen in seinen Augen. Und die Hoffnung. Liebe breitete sich in ihr aus und verdrängte die Einsamkeit, die Leere und all die Ängste, die sie so lange gequält hatten. Plötzlich kam sie sich … unbesiegbar vor. Und so selbstbewusst wie noch nie in ihrem Leben.
„Eltern sein macht Spaß, oder?“ Sie lächelte, und Rudy zog sie an sich. Sein Kuss war voller Versprechen. Irgendwo im Haus jubelte jemand. Mia, dachte Violet, und lachend lösten sie sich voneinander.
„Heißt das, du hast es dir anders überlegt?“
Sie schnaubte. „Ich glaube, es heißt, ich bin wieder bei Verstand. Irgendwann muss ich ihn wohl verloren haben.“
Er legte eine Hand um ihr Kinn. „Du hast keine Angst mehr?“
„Nicht genug, um mir nicht zu nehmen, was ich will. Endlich, was?“
Rudy strahlte. „Ich denke, wir wissen beide, wie ich dazu stehe.“
„Wozu?“
„Dass ich dich liebe. Dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen will. Du weißt schon. Das Übliche.“
„Den Rest deines Lebens?“
„Was soll ich sagen – ich bin ein geborener Masochist.“
Violet schlug ihm auf den Arm und schmiegte sich an ihn.
„Es tut mir so leid“, sagte sie mit schlechtem Gewissen. „Dass ich dir das alles zugemutet habe.“
„Das will ich hoffen. Verdammt, ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, als du dich gestern Mitch in die Arme geworfen hast.“
Sie hob den Kopf. „Das habe ich nicht!“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Na ja, vielleicht doch. Aber nur weil ich so erstaunt war, ihn zu sehen. Und wir beide haben uns schließlich mal sehr nahegestanden. Daher auch die zwei Kinder. Und falls es dir entgangen sein sollte, ich bin sehr zärtlichkeitsbedürftig.“
„Ich auch. Dabei fällt mir ein …“ Er küsste sie so leidenschaftlich, dass sich in ihre Freude und Erleichterung schon bald Verlangen mischte.
„Was ist denn eigentlich passiert?“, wollte Rudy atemlos wissen, als sie den Kuss beendeten, bevor die Veranda in Flammen aufging. „Nicht, dass ich mich beschwere, ich bin einfach nur neugierig. Warum hast du deine Meinung geändert?“
Sie hatte seine Frage erwartet. Und erstaunlicherweise hatte sie sogar eine Antwort.
Die alten Bretter knarrten, als Violet zum Geländer ging und sich daraufsetzte. „Bevor mein Vater starb, sind wir am Samstagmorgen immer frühstücken gegangen, in dem Diner nicht weit von unserem Haus. Und Dad bat den Koch, uns etwas Besonderes zu machen – Waffeln mit Schokoladensauce und Ahornsirup und Schlagsahne und Erdbeeren und Zimtäpfeln … ich weiß gar nicht mehr, was alles noch. Wir nannten es immer die Wunderwaffel.“ Sie schmunzelte. „Weil mein Dad immer gesagt hat, jeder, der sie sieht, wundert sich und fragt sich, was zum Teufel ist das?“
Rudy verzog das Gesicht. „Klingt nicht gerade lecker.“
„Oh, wir haben es geliebt! Aber nach seinem Tod sind wir nicht mehr frühstücken gegangen. Mom hat mir nie erklärt warum. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich die Waffeln vermisst habe. Fast so sehr wie meinen Vater, glaube ich. Vergiss nicht, ich war erst sechs. Ich muss sie damit genervt haben,
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