Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
die
Backyards
der Carroll Street und fällt dann durch eines der drei schmalen Fenster im dritten Stock unseres Hauses auf mein Gesicht.
So beginnt der Tag, so fängt der Film an.
Ich liege auf der Seite des Fensters, links, das ist mein Platz in unserem Bett – überall auf der Welt. Von hier aus kann ich meine Frau am natürlichsten in den Arm nehmen, denke ich. Meine Frau wiederum meint, dass ich näher am Licht liegen muss, weil sie den leichteren Schlaf hat. Sie will die Möglichkeit haben, sich sowohl vom Licht als auch von mir wegdrehen zu können, sagt sie. Und jetzt schläft sie, und ich bin wach. So sieht's aus.
I ch werde vom Knistern wach, so einem Knistern, als blättere jemand eine Zeitung um. Es kommt von der Seite neben mir, links neben mir, da, wo die Kinder schlafen, wenn sie schlecht träumen, oder der Kater, wenn er vor der Tür miaut und ich die Nerven verliere, oder mein Mann, wenn er da ist.
Er ist da, vorgestern ist er wiedergekommen, er hat Jetlag, er ist wach und sucht seine Brille zwischen den Zeitungen neben dem Bett. Ich stelle mich schlafend, es ist noch fast dunkel im Zimmer, halb sechs vielleicht oder sechs. Die Tage werden kürzer, es geht so schnell. Gestern Abend ist ein Gewitter über die Stadt gezogen, ein kurzes, kräftiges. Danach war die Luft nicht mehr so stickig wie in den letzten Tagen, sondern angenehm, fast kühl. Wir konnten nachts die Klimaanlage auslassen, den Kasten hinter unserem Bett, der so laut brummt, als stehe ein Traktor im Raum. Nur der Ventilator kreist träge über meinem Kopf. Ich mag das, das Summen und den leichten Luftzug. Es ist, als würde ich in einem Haus in den Tropen schlafen.
Das Knistern hört auf. Alex hat seine Brille gefunden. Er steigt aus dem Bett, tastet sich zur Tür vor. Er gibt sich Mühe, keine Geräusche zu machen, aber er kann einfach nicht leise auftreten, und das Haus, eines dieser Reihenhäuser mit Vorgarten und Steintreppe, hat seine eigenen Regeln. Es lebt. Die Dielen und Treppenstufen knarren, der Wasserhahn jault, die Türrahmen sind verzogen von der schwülen New Yorker Sommerluft, die Schlafzimmertür zur Kleiderkammer hängt nur lose im Rahmen, während die zum Flur klemmt, man muss sie anheben und dann mit einem Ruck zu sich ziehen, um sie zu öffnen.
Dieses altersschwache Haus ist mit Abstand das beste, was wir bei unserer Wohnungssuche vor zwei Jahren gefunden haben.
Alex hatte einen Job beim Spiegel bekommen, und der Spiegel erfüllte ihm seinen Wunsch, in New York zu leben und zu arbeiten. Es war sein Lebenstraum, er riss mich mit. Das kann er gut. Und wenn ich einmal dabei bin, dann will ich es auch. Manchmal mehr als er. Als Alex in den Wochen vor unserem Umzug nachts aufschreckte, aus Angst vor dem Neuen, vor der Ungewissheit, vor der Verantwortung, beruhigte ich ihn. Alles wird gut.
Ich hatte Lust auf etwas Neues, und Amerika passte gut. Unsere Tochter war gerade geboren, ich war im Erziehungsurlaub, und New York nahm mir die Entscheidung ab, ob ich ein Jahr zu Hause bleiben sollte oder zwei oder drei. Wir würden erstmal in Ruhe ankommen und dann weitersehen.
Alex suchte zunächst alleine nach Wohnungen. Er suchte im Greenwich Village, in Chelsea, in der Upper West Side, da, wo in den romantischen Hollywoodkomödien Familien mit Kindern leben. Alex wollte unbedingt nach Manhattan, mitten zwischen die Wolkenkratzer, ins Herz von New York.
Am Telefon erzählte er mir dann, wie unfreundliche Makler ihn in winzige, dunkle Apartments führten, mit Blick auf Häuserwände, und sagten, unter 5000 Dollar Kaltmiete sei nichts anderes zu kriegen.
»Was ist mit Harlem?«, fragte ich, weil ich gelesen hatte, Harlem sei gerade im Kommen.
»Ja, vielleicht Harlem«, sagte er. »Oder Brooklyn. Eine Kollegin hat gesagt, Brooklyn sei besser, wenn man Kinder hat.«
Ich war erst zweimal in New York gewesen, immer auf der Durchreise. Ich kannte Brooklyn nur aus „ Smoke , dem Film von Paul Auster, und stellte es mir wie eine amerikanische Kleinstadt am anderen Ufer des East Rivers vor – eine ruhige Gegend, in der Schriftsteller in alten Häusern sitzen und sich Gedanken über das Leben machen.
Als uns Steven, ein Büchersammler aus Boston, den Alex mal auf einer Lesung in Berlin kennengelernt hatte, Bilder von einer Wohnung in Brooklyn nach Berlin schickte, sagten wir zu, ohne die Wohnung gesehen zu haben. Auf den Fotos sahen die Zimmer groß aus und hell, es gab sogar einen Garten. Ich weiß nicht, mit
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