Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
tranken Bier, er schwärmte von Amsterdam und sagte, dass er bald in Berlin lese und dass ich ihn an die Schwester seiner Freundin erinnere. Ich wäre gerne länger geblieben, aber ich fühlte, dass Alex gehen wollte. Er war mit nach Philadelphia gekommen, weil er hier auch ein Interview hatte. Meine Mutter war zu Besuch in New York, und wir sahen eine Chance, mal wieder zu zweit unterwegs zu sein.
»Das ist mein Mann«, sagte ich zu Dave Eggers, nachdem ich Alex an die Bar gezogen hatte, und wusste sofort, dass das ein Fehler war, dass es überhaupt ein Fehler gewesen war, mit ihm gemeinsam nach Philadelphia zu fahren. Ich war hier die Reporterin, er war mein Mann. Normalerweise ist es umgekehrt, normalerweise bin ich diejenige, die mitgebracht wird und dasteht und darauf wartet, ins Gespräch einbezogen zu werden und daran denkt, dass es doch besser gewesen wäre, zu Hause zu bleiben, dass man diese Dinge nicht mischen sollte.
»Hi«, sagte Alex kühl und wollte sich sofort wieder aus dem Staub machen. Er hält diese Situationen noch schlechter aus als ich. Er bekommt dann so einen kalten, unnahbaren Blick und spielt Coolman .
»Hi«, sagte Eggers. »Nice to meet you.«
Ich versuchte, die Situation zu retten, erzählte Eggers von Alex' Arbeit und Alex von Eggers' Amsterdam-Reise, ich redete und redete, immer mehr, die Musik war laut, ich schrie fast, kämpfte um meinen Abend, um meinen Mann, um meine Geschichte. Ich wollte alles, und alles war zu viel. Später in Brooklyn habe ich Eggers nochmal wiedergesehen, ich habe seinen Laden in der 7 th Avenue besucht, in dem er Leuten die Haare schneidet und unnütze Sachen verkauft. Als er gehört hat, dass ich im Sommer nach Europa fliege, hat er mich gebeten, ihm von überall, wo ich bin, ein bisschen Erde mitzubringen, die er dann in seinem Laden verkaufen werde, dirt in jars , und ich habe für ihn Sand aus Venedig, Wien, Berlin und Ückeritz durch den Zoll geschmuggelt, Spuren unseres schönen langen Sommers, der nun zu Ende geht.
Ich drehe mich auf die Seite. Wenn Alex erst einmal unten in der Küche ist, gibt es vielleicht noch eine Chance, weiterzuschlafen. Er ist bereits vor den Kinderzimmern, noch eine Etage, seine Schritte werden schneller, er ist ein ungeduldiger Mensch. Eine Tür klappt, es ist wieder still im Haus, die Kinder schlafen noch, draußen bellt ein Hund, das Windspiel von Roxy und Mike, unseren Nachbarn, klimpert leise, der Ventilator summt, irgendwo heult die Alarmanlage eines Autos, ein Flugzeug, auf dem Weg nach La Guardia, fliegt über unser Dach.
D
ie Treppe zum zweiten Stock knarrt am allerschlimmsten, aber wenigstens konnten wir im Frühling die Sicherheitsgitter an den Treppengeländern abbauen, weil unsere Tochter Mascha inzwischen ziemlich sicher auf den Beinen ist. Ich habe diese Gitter gehasst, ich habe mich gefühlt wie ein Pferd, wenn ich durch unsere Wohnung lief. Ich habe sie selber angeschraubt, aber das macht es natürlich nicht besser.
Vor knapp zwei Jahren trafen die Gitter zusammen mit unseren anderen Sachen hier ein, am letzten Tag, den ich allein in New York verbrachte. In den ersten sechs Wochen hatte ich auf einer Luftmatratze geschlafen. Ich hatte bis dahin noch nie in einem mehrstöckigen Haus gelebt und musste erst überlegen, in welches der sechs leeren Zimmer, in welches der drei Stockwerke ich die Matratze lege. Ich habe mich für das kleinste Zimmer im zweiten Stock entschieden. Sechs Wochen lang war ich mit dieser Luftmatratze, mit Bagels, Bier und einem Sony-Fernseher ausgekommen, dann stand plötzlich ein riesiger, deutscher Container in der schmalen Carroll Street. In dem Container waren all die seltsamen Dinge drin, die man so ansammelt in einem Familienleben: die verstaubten Likörflaschen, die Kaffeetassen mit lustigen Sprüchen, die Stephen King- und die Scholochow-Bücher, die Rod Stewart- und die BAP-CDs, die Videokassetten, deren Beschriftung man nicht mehr lesen kann, die Elektrogeräte, die hier nicht funktionieren, unsere deutschen Kinderbücher und die Gitter für die Treppen, die wir noch in Deutschland gekauft hatten, weil man deutschen Gittern mehr trauen konnte als amerikanischen. Ich habe meine Frau verflucht, als ich die Kisten auspackte, die sie in Berlin eingepackt hatte. Die sechsteilige Videobox
Chronik der Wende
, die ich schon in Deutschland nicht aus ihrer Plastikhülle befreit hatte, weil mich bereits ihr Anblick schläfrig machte, hatte es über den Atlantik geschafft,
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