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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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nichts gewußt, Blödmann! …«
    Necmi setzte darauf erneut zur Antwort an. Als wollten wir richtig aufeinander losgehen. Wir ließen uns hinreißen und spielten das, was vor Jahren gewesen war. Durch die abermals leicht tadelnde Stimme von Çela wurden wir aus dem Spiel gerissen. In ihrem Gesicht waren Spuren der Trauer zu sehen, die das Gehörte in ihr geweckt hatte. Doch zugleich lächelte sie. Und sie lächelte so, als wollte sie uns in die Realität zurückrufen:
    »Also, wann wollt ihr denn eigentlich erwachsen werden? … Ich habe nur meinen Ehemann für ein Kind gehalten. Doch ihr beiden habt euch wirklich gefunden! …«
    Wir schauten verdutzt die Frau an, die uns tadelte. Wir fühlten uns getadelt, doch wirklich unangenehm war uns diese Situation nicht. Daß ich dies in bezug auf uns beide sagen konnte, kam zweifellos daher, daß ich mich in den Mann, mit dem ich kurz vorher fast gestritten hätte, trotz der langen Zwischenzeit noch immer sehr gut glaubte einfühlen zu können. In seinem Blick auf Çela wollte ich Zuneigung erkennen. Auch Çela schaute uns liebevoll an. Dieser Blick ließ mich die Frage stellen, die ich an dem Punkt stellen mußte, den wir erreicht hatten. Ich hatte das Gefühl, als könnte sie in völlig unerwarteter Weise den von mir eingeschlagenen Weg ›billigen‹. Wahrscheinlich war es mir angenehm, auf diesem Weg das Kind zu sein.
    »Du bist also nicht böse? …«
    Wie es schien, gefiel ihr ihre Rolle ebenfalls. Es war deutlich zu merken, daß sie mit ihrer folgenden Frage weiter den Spaß am Spiel auskosten wollte …
    »Worüber sollte ich denn böse sein? …«
    Ich sah ein, daß ich mich nicht vor einer größeren Offenheit drücken konnte.
    »Na ja, daß ich so heimlich zu Şebnem gehe …«
    Sie stützte ihre Arme auf den Tisch. In der Liebe in ihren Blicken, in ihrem Lächeln waren eine andere Wärme und Entschlossenheit. Freundschaft, Fraulichkeit, vielleicht Schwesterlichkeit …
    »Kinder, seid ihr denn verrückt? … Warum sollte ich denn böse sein? … Wer weiß, was das arme Mädchen dort erlebt. Ihr tut wirklich etwas Gutes. Nur zu, macht weiter! … Wenn ich doch auch etwas tun könnte! Aber ich will mich nicht einmischen. Ihr habt euch nun mal auf die Sache eingelassen, wie soll ich sagen …«
    In dem Moment wendete sie sich an mich. In ihre Blicke und ihre Stimme sowie ihre Worte trat außer dieser Freundlichkeit auch ein leicht vorwurfsvoller Ausdruck.
    »Ich bin bloß ein bißchen gekränkt, daß du gedacht hast, ich könnte deswegen böse sein. Daß du mich für so eine hältst …«
    Ich konnte nichts entgegnen. Ich empfand Freude und Verlegenheit gleichermaßen, doch ich fand keine Worte, um dieses Gefühl auszudrücken. Einerseits fühlte ich mich erleichtert, daß diese Last von meinen Schultern genommen war, andererseits bedauerte ich, was sie mir vorwarf. Aber leider kamen mir nicht die passenden Worte über die Lippen. Ich begnügte mich wieder damit zu lächeln. Ohne zu wissen, inwieweit dieses Lächeln meine Gefühle wiedergab … Ich sah nur die Liebe, die in dem Vorwurf lag. Die Frage, die sie angesichts meiner Stummheit stellte, bestätigte diese Liebe.
    »Du hast also geglaubt, mich zu betrügen, wenn du still und heimlich zu Şebnem gehst, ja?«
    Sie faßte meine Hand. Dann stand sie auf, setzte sich auf meinen Schoß, umschlang mich und küßte mich auf die Lippen.
    War es möglich, daß sich Necmi angesichts dieser Szene unbehaglich fühlte? … Das konnte ich nicht wissen … Doch schien mir die Frage zumindest berechtigt, da er offenbar das Bedürfnis hatte, seine Anwesenheit bemerkbar zu machen
    »Ich gehe jetzt mal. Ich will euch nicht länger zur Last fallen …«
    Çela, die ihren Arm um meine Schulter geschlungen hatte und ihren Körper ziemlich eng an meine Brust drückte, antwortete sofort, wobei sie aus ihrer Weiblichkeit, die sie zeitweise sehr geschickt einsetzte, Kraft schöpfte.
    »Nein, Himmel noch mal, was redest du da für Blödsinn! … Wir sitzen hier wie Bruder und Schwester! … Immerhin sind wir vierundzwanzig Jahre verheiratet, Junge!«
    In dem Augenblick spürte ich, wie sich ihre Fingernägel leicht in meine Schulter gruben. Ich antwortete darauf, indem ich ihr leicht in die Hüfte kniff. Ich hätte am liebsten gesagt: ›Gestern nacht waren wir aber so richtig Geschwister!‹ Ich war mir sicher, sie dachte das gleiche. Anders konnte ich mir diesen kleinen Nachrichtenaustausch nicht erklären, den wir Necmi nicht

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