Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Unbesprochenes mit sich rum … Und auf mich war nun das Los gefallen … In der Nacht, als er sein Geständnis ablegte, war er sehr betrunken. Er kehrte sowieso sehr oft betrunken heim. Ich hatte sogar Angst, er würde sich umbringen. Deswegen tat ich auch alles, um unsere Ehe zu retten. Ich versuchte sogar, ihm die Mutterliebe zu geben, die er nie erfahren hatte. Trotz unserer Streitigkeiten, seinem Geschrei, seinen Beleidigungen … In solch einer Umgebung wuchs derweil Avi auf.
Es vergingen auf diese Weise fünf, sechs, sieben Jahre, ich erinnere mich nicht mehr. Mein Ehemann fing bei jeder Gelegenheit Streit an, ich hingegen beschwichtigte immer … Jenes rebellische Mädchen war verschwunden, an seine Stelle war eine geduldig leidende, opferbereite Frau getreten. Ich ließ alles mit mir geschehen. Noch dazu … Noch dazu, du wirst erstaunt sein, aber manchmal … Manchmal wurde ich sogar geschlagen. Kannst du dir das vorstellen, Isi? … Ich und geschlagen werden … Ich hätte ihn am liebsten ebenfalls geschlagen, aber das konnte ich nicht. Er war sehr stark, mit dieser Kraft konnte ich es nicht aufnehmen. Einige Male erlitt ich schwere Gewalt. Warum hast du das alles ausgehalten, wirst du sagen … Kennst du diese Seite der Beziehung zwischen Mann und Frau auch? … Ich kann es jetzt eingestehen. Manchmal … Manchmal ist es sehr aufreizend … Wenn du siehst, daß der Mann deinem Dasein gegenüber nicht gleichgültig ist, daß du ihn so erschüttert hast, daß er dich schlagen will … Zu Anfang war das wirklich so. Doch dann begann ich, das sehr erniedrigend zu finden. Sehr erniedrigend … Denn … Denn es kam der Tag … Denn es kam der Tag, an dem er nicht mehr mit mir schlafen wollte … Da blieb dann nur noch Gewalt übrig … Nur noch Gewalt … Nur so konnte er sich beruhigen … Wir hatten also mit dem Sex in unserer Ehe abgeschlossen. Er … Er masturbierte manchmal im Bett … Kannst du dir das vorstellen? … Auch so etwas Banales, Ordinäres habe ich erlebt … Es fällt mir derart schwer, darüber zu sprechen … Doch du sollst es wissen, ich möchte, daß du auch dies aus meinem Leben weißt … Es war ekelhaft … Mehrmals habe ich ihn umbringen wollen. Glaub mir, ich habe mich schwer beherrscht …
Avi war nicht der einzige Zeuge der Gewaltszenen. Selim war Davids engster Freund aus Izmir. Er kam oft zu Besuch zu uns. Er war ein sehr guter Mensch. Ein richtiger Lebenskünstler. Weil er eine Reiseagentur hatte, brachte er oft Reisegruppen nach Israel. Er hatte eine Firma, und seine Geschäfte liefen gut. Wenn er kam, wohnte er manchmal bei uns. Ihm habe ich im Laufe der Zeit zunehmend mein Leid geklagt. Auch er tat alles, was er konnte, um unsere Ehe zu retten. Doch David war, wie gesagt, ein richtiger Psychopath, und es wurde immer schlimmer. Dann passierte eines Nachts etwas ganz Unglaubliches. David kam wieder sternhagelvoll nach Hause, und nachdem er uns beide beschimpft hatte, legte er sich zu Bett und schlief sofort ein. In jener Nacht redeten Selim und ich wieder lange. Auf einmal konnte ich mich nicht länger halten, ich legte den Kopf auf seine Schulter und fing bitterlich zu weinen an. Endlich konnte ich weinen. Kann ein Mensch sich freuen, weil er weinen kann? … Ich weiß nicht … Es schien mir aber, als beweinte ich in dem Augenblick viele Verluste meines Lebens. Um mich von allen zu befreien … Um mich endlich davon zu befreien … Das war so ein Gefühl … Und er nahm mich in seine Arme … Plötzlich erfüllte mich so eine warme Herzlichkeit. Ich wollte ihn … Ich wollte ihn, hörst du? … Ich spürte, daß auch er mich wollte. Ich gab nach, und wir liebten uns in dieser Nacht auf dem Sofa im Wohnzimmer wie die Wahnsinnigen. Wie wenn ein Bogen angespannt, angespannt und plötzlich losgelassen worden wäre. Mein Schluchzen verwandelte sich durch die Lust der inneren Entladung in Schreie. Erstmals erlebte ich das Lieben in dieser Weise. Kannst du dir das vorstellen? … Mein Ehemann liegt im Nebenzimmer im Schlaf versunken, und ich vögele mit seinem besten Freund im Wohnzimmer … Vielleicht war das die aufregendste Seite. Eine Weile wollte ich sogar, daß er uns so ertappen sollte … Nun gut, wie hat Selim das tun können? … Diese Frage stellte ich mir auch, als wir eng umschlungen am Boden lagen. Natürlich wollte ich keine Antwort darauf geben. Ich wußte inzwischen, daß in menschlichen Beziehungen jederzeit alles mögliche passieren konnte. Auch, daß wir
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