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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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einander in jeder Hinsicht sehr begehrten … Von da an begann er, meinetwegen zu uns nach Hause zu kommen. So vergingen zwei Jahre. Unsere Beziehungen wurden zu einer seltsamen Dreierbeziehung. Während dieser Zeit schlief ich ein paarmal auch mit David. Natürlich konnte ich das Selim nicht sagen. In Beziehungen muß man manchmal lügen. Doch eines Tages zog er mich an sich und bat mich, ich solle meinen Mann verlassen, nach Izmir kommen und ihn heiraten. Ich mußte eine Wahl treffen. Es war eine schwere Entscheidung. In Wirklichkeit wollte ich mit ihm ein neues Leben anfangen. Um wenigstens das Gefühl des Neuanfangs zu erleben … Ich wußte, es war es wert. Doch andererseits gab die Stimme meines Gewissens keine Ruhe. Meinetwegen würde der Mann, mit dem ich jahrelang mein Leben geteilt hatte, noch einmal den gleichen Albtraum erleben. Was für eine schwere Belastung war das doch. Natürlich verletzt man in solchen Situationen nicht nur seine Lieben … Sondern auch sich selbst … Man will sich nicht als so böse sehen und kennen. Diese Zweifel dauerten fast ein Jahr. Ich wollte Selim nicht verlieren; ich sagte mir, daß das Leben verstriche, es erregte mich, noch immer eine begehrenswerte Frau zu sein; ich redete mir ein, daß dieses Verlangen nicht jahrelang andauern würde; ich hatte Angst, neuerlich einen Preis dafür zu zahlen, um das Leben nicht noch einmal zu verfehlen, doch irgendwie konnte ich auch nicht davon ablassen, für jenen verwundeten Mann Mutter zu spielen … Doch eines Abends, als er gerade nüchtern war, wagte ich es, ihm die Wahrheit zu eröffnen. Er unterbrach mich nicht und hörte mir mit gesenktem Kopf zu. Ich erzählte keine lange Geschichte, sondern faßte mich sehr kurz. Ich ließ ihn spüren, daß ich alles getan hatte, ihn nicht zu kränken, doch gleichzeitig wollte ich auch zeigen, wie entschlossen ich war zu gehen. Ich hatte sehr darum gekämpft, unsere Beziehung zu retten. Es war mir trotzdem nicht gelungen, es war uns nicht gelungen … Als er merkte, daß ich fertig war, lachte er, er lachte ganz nervös, doch nicht erzürnt, es schien, als wäre er überhaupt nicht böse … Er reagierte sogar sehr merkwürdig, indem er sagte, ich habe das Recht zu gehen. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich kränkte es mich, daß er sich nicht wehrte, nicht wütend wurde. Ich hatte mich auf einen Kampf eingestellt. Ich wollte nicht so leicht aus seinem Heft gelöscht werden, irgendwie. Aber weißt du, was der eigentliche Hammer war? … Er sagte, er wisse Bescheid, er habe von meiner Beziehung zu Selim gewußt. Ich war perplex, wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber er versuchte mir mit einer Geste zu signalisieren, daß dies nicht nötig sei. Ich erlebte ihn so zum ersten Mal … Als wäre aus dem Mann, der mich jahrelang mit seinen Gewaltausbrüchen gequält hatte, plötzlich fast ein Heiliger geworden … Spielte er vielleicht ein neues Spiel mit mir? … Mir blieb nichts übrig, als dazu zu schweigen. Ich wußte, wenn ich jetzt weich würde, alles zurücknähme und verzichtete, könnte ich diesen Schritt, der mein Leben veränderte, nicht noch einmal tun. Deswegen sagte ich, ich würde sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Die Scheidung würden wir über unsere Anwälte durchziehen lassen. Er sagte wieder in dieser Attitüde des Heiligen, er würde keinerlei Schwierigkeiten machen. Das eigentliche Problem lag woanders. Unser Sohn Avi wollte nicht mit mir kommen, er wollte lieber bei seinem Vater bleiben. Er war inzwischen ein Junge von elf Jahren … Diesen Entschluß zu treffen war nicht leicht, überhaupt nicht … Ich beschloß, ihn dort zu lassen. Indem ich versuchte, mich selbst davon zu überzeugen, daß ich ja oft kommen würde … Was bin ich doch für eine Rabenmutter, nicht wahr? … Nachdem du auch das erfahren hast, verachtest du mich vielleicht. Doch ich glaubte, es wäre vielleicht besser, wenn er dortbliebe, weil ich nicht wußte, was ich in Izmir erleben würde, nachdem ich solch einen weitreichenden Entschluß für mein Leben gefaßt hatte. Durch mein Kommen und Gehen konnte ich ihn womöglich sogar davon überzeugen, zu mir zu kommen. Zudem würde er mich besser verstehen, wenn er größer war und erkennen konnte, was seine Mutter um der Liebe willen ertragen hatte … Dieses Mal hatte die Liebe gesiegt, Isi, endlich hatte sie gesiegt … Was ich getan habe, mag dir schrecklich erscheinen. Doch ich bin überzeugt davon, daß dies die beste

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