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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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dir gefällt. Sie ging ins Schlafzimmer. Ich hörte sie weinen. Ich hingegen weinte nicht. Vielleicht würde ich eines Tages weinen, doch in dem Augenblick wollte ich das nicht. Ich war erleichtert, und dieses Gefühl reichte mir mehr als genug.
    Für meine Mutter war es nicht leicht. Der Mann, mit dem sie all die Jahre verbracht hatte, war nun nicht mehr neben ihr. Sie war dermaßen davon überzeugt, daß sie eine gute Ehe geführt hatte … Die Frauen jener Generation konnten sowieso nicht anders denken … Sie haben in dieser Weise gelebt. So zu leben war ihr Schicksal. Es gab keinen Einspruch, keine Widerworte. Heiraten, sich mit Kindern und Enkeln befassen und, koste es, was es wolle, dieses Leben fortsetzen … Ob aus Hochachtung vor dem anderen, weil man ihn wertschätzte, oder weil man vor dem Leben Angst hatte, das weiß ich nicht. In unserer Generation sind die Dinge wohl so langsam zerbrochen. Heute werden Leute, die an einer schlechten Ehe festhalten, getadelt. Das ist natürlich viel gesünder. Wenn der Mensch sich nach einem anderen Leben sehnt, muß er meiner Ansicht nach diesem Leben hinterherlaufen, unbedingt … Nun gut, dieses Thema soll uns jetzt egal sein. Wenn wir uns darein vertiefen, kommen wir so leicht nicht wieder davon los.
    An jenem Tag mußte es jemanden geben, der stärker war als alle anderen und die anfallenden Arbeiten koordinierte. Ich hielt mich für die geeignetste Person. Die Beerdigungsvorbereitungen, das Essen zu Hause, das Herrichten der geeigneten Umgebung für die Beileidsbesuche … Ich übernahm das alles. Nach ein paar Tagen sagte ich zu meiner Mutter, es sei Zeit für mich zurückzufahren, ›nachdem ich meine letzte Pflicht erfüllt habe‹. Nach Ablauf der sieben Tage für meinen Vater würde ich fliegen. Wieder einmal … Ich wußte sehr gut, woher ich kam, dieses Mal fiel es mir viel leichter, doch ich wußte noch nicht, in welches Leben ich flog in dem Land, das ich schon gut zu kennen glaubte … Sie erhob keinen Einwand. Ich bemühte mich in jenen Tagen sehr, nicht mit ihr zu diskutieren, mich nicht mit ihr auseinanderzusetzen. Wir hatten nichts mehr zu besprechen. Wir hatten sowieso nie viel miteinander geredet. Was sagst du dazu? … War dies nicht das Schicksal unserer Generation? … Nämlich darunter zu leiden, nicht miteinander reden zu können … Das ist immer eines von unseren Themen gewesen, erinnerst du dich? … Sie verstand wahrscheinlich. Sie bedrängte mich nicht. Zumindest war sie beruhigt, daß ich meine ›Kindespflicht‹ erfüllt hatte. Ich hingegen war sehr beruhigt zu sehen, daß mein Vater ihr die Wohnung und auf der Bank eine schöne Geldsumme hinterlassen hatte. Ich sagte, ich wolle meinen Anteil an der Erbschaft nicht haben. Sah sie wohl meinen Protest darin? … Ich bin mir nicht sicher. Doch ich sah ihn sehr wohl, ich hatte ja auch diese Möglichkeit gefunden … An ihre Einsamkeit würde sie sich auf ihre Weise gewöhnen. So wie das Leben sie das gelehrt hatte … Wie du dir denken kannst, war unser Abschied nicht allzu schwer.
    Im Flugzeug auf dem Rückflug fühlte ich mich von Istanbul noch stärker getrennt. Danach vertiefte ich mich eine Zeitlang in mein Studium. Ich konnte mich nicht entscheiden, was genau ich tun sollte. Jedenfalls wollte ich die Ausbildung abschließen. Damals lernte ich David kennen … Auf der Geburtstagsparty eines Freundes aus Istanbul, den ich in Israel kennengelernt hatte … Es war purer Zufall … Es war genauso eine Situation wie in manchen Filmen, wo man sagt, das Schicksal hatte seine Netze ausgeworfen. Eigentlich hatte ich gar keine Lust, zur Party zu gehen, doch der Teufel ritt mich, und ich ging hin. Auf der Party waren noch andere Leute aus der Türkei. Wir wurden miteinander bekannt gemacht. Vielleicht hatte er das auch angezettelt, was weiß ich … Mit Rakigläsern in den Händen ergab man sich ein bißchen der Türkeinostalgie. Wenn so viele Türken zusammenkamen … Ich hatte eigentlich keine nostalgischen Gefühle hinsichtlich der Türkei, doch ich beteiligte mich. Dann blieben wir beide allein. Wir plauderten, das Thema vertiefte sich. Er war ein unterhaltsamer Mensch. Er kam aus Izmir, war Arzt und gerade dabei, seinen Facharzt für Innere Medizin abzuschließen. Wir tauschten Telefonnummern aus. Das war keine Überraschung, das machte man so … Ein paar Tage später rief er auch schon an und lud mich ein, mit ihm ein Wochenende in Eilat zu verbringen. Derart viel hatte ich eigentlich

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