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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Çela einen weiteren Schritt, indem sie mit Şebnem wie mit einer alten Freundin redete.
    »Komm … Wir lassen die Männer allein, sollen sie nur plaudern … Komm mit in die Küche. Wenn du gedacht hast, du könntest dich so einfach wie ein Gast hinsetzen, dann hast du dich geirrt, Mädchen … Zugleich kannst du uns ein bißchen bei der Zubereitung der Speisen zuschauen, es ist noch nicht alles fertig … Du wirst sehen, eines Tages brauchst du das …«
    Lag in diesen Worten eine Neckerei oder sogar eine Anspielung? … Das wußte ich nicht. Vielleicht versteifte ich mich auch grundlos auf eine Möglichkeit, die ihr gar nicht eingefallen war. Das Entscheidende war sowieso, daß diese Möglichkeit mir eingefallen war. Doch ich mußte hier innehalten, durfte nicht weitergehen. Wenn man diese Worte wohlwollend betrachtete, konnte man sie als sehr herzlich und aufrichtig verstehen. In dieser Situation war es ein wunderbarer Schritt, den sie tat. So einen Schritt konnte nur eine Frau wie meine Ehehälfte tun. Şebnem, um ihre Verwirrung angesichts dieser Worte im Zaum zu halten, schaute plötzlich Zafer Bey an. Ich hatte schon vorher seinen starken Einfluß auf sie bemerkt. Zwischen beiden schien eine Art Vater-Tochter-Verhältnis zu bestehen, wobei das Alter keine Rolle spielte. Die Umstände, das gemeinsam Erlebte hatten dieses Verhältnis entstehen lassen. Zudem wirkten beide mehr als zufrieden mit dieser Beziehung. Die eine hatte sich sozusagen entschlossen, die Entscheidung in manchen Dingen dem anderen zu überlassen, ein wenig auszuweichen und sich das Leben zu erleichtern, der andere genoß seine Überlegenheit. Die notwendige Erlaubnis wurde sofort erteilt.
    »Geh nur, Şebnem, geh … Man soll nicht glauben, daß du nur gute Bilder malst. Zeig auch in der Küche deine Fähigkeiten …«
    Diese Aufmunterung reichte. Mit dieser eingestreuten Bemerkung, die uns geschickt an Şebnems malerische Begabung erinnerte, hatte Zafer Bey zugleich auch ihr Selbstvertrauen gestärkt. Çela nahm wie eine ältere Schwester den Arm unseres Gastes, der sich trotz der Freude über diese Worte etwas zögerlich erhob. Es sah so aus, als wäre ein jeder darauf aus, in diesem Spiel seine Macht zu erleben oder erleben zu lassen. Vielleicht war auch ich in diese Falle gegangen. Woher rührten denn diese Bestrebungen? … Aus einer Unsicherheit, bei Şebnem etwas zu sehen, das wir nicht sehen wollten? … Aus einer Angst, die sich aus dieser Unsicherheit ergab? … Aus dem Wunsch, uns selbst stärker zu fühlen, um leichter mit unseren Schwächen zu leben, indem wir Kraft zogen aus der Gestörtheit, ja, Niederlage eines anderen Menschen? … Alle diese Möglichkeiten kamen für uns in Frage. Schließlich wollten wir alle mit unseren Bedrängnissen fertig werden. Çela flüsterte Şebnem, bei der sie sich eingehakt hatte, beim Hinausgehen aus dem Salon ein paar Worte ins Ohr. Freilich konnte ich nicht hören, was sie sagte. Sie kehrten uns den Rücken zu. Ich konnte auch nicht sehen, wie Şebnem darauf reagierte. Das machte den Zauber des Geheimnisses noch wirkungsvoller. In dem Moment merkte ich, daß sich diese Szene als eine der unvergeßlichen Szenen der Erzählung in mein Gedächtnis einprägen würde. Ich wußte nicht, warum, aber das, was ich sah, erweckte zumindest in mir dieses Gefühl. Was hatte Çela gesagt? … Was hatte Şebnem gehört? … Wohin zog das Gesagte die Protagonistinnen der Erzählung? … Es genügte mir zu sehen, daß die Erzählung von den Protagonistinnen geschrieben wurde, vielmehr daß sie geschrieben werden konnte.
    Ich blieb nun mit Zafer Bey allein. Mit unterdrückter Stimme sagte ich, er könne, wann immer er wolle, ebenfalls in die Küche gehen. Er sagte, das sei nicht nötig. Er sah sie jetzt in sicheren Händen. Außerdem würde ihr diese Abwechslung sogar guttun. Daraufhin erinnerte ich ihn daran, daß Çela nicht vollständig über meine Gefühle für Şebnem Bescheid wisse. Einmal habe ich versucht, dieses Tieferliegende zur Sprache zu bringen, weil ich geglaubt habe, auf diesem Weg besser vorankommen zu können. Was ich fühle, erzeuge ein Schuldbewußtsein in mir … Er sagte daraufhin, ich solle nicht zu streng mit mir sein. Ich sei nicht verpflichtet, alles mitzuteilen, was ich fühle. Diese kleine Welt sei meine Welt. Meine Welt, in der ich mich davon überzeugen könne, daß ich mein Leben intensiver lebte, daß ich existierte … Das waren beruhigende Worte, die Sicherheit gaben. Zumal

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