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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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»Unverschämter Naseweis, was geht dich das an!« Ich lachte noch mehr, auch Necmi lachte. Danach begannen die Mädchen zu lachen. Unsere Zuschauer konnten bei diesem Anblick nicht anders als lächeln. Die Vorstellung ging weiter. Şebnem nahm aus der Schale auf dem Beistelltisch gleich neben sich eine Pistazie und warf sie auf Necmi. Şeli tat dasselbe. Wir konnten tatsächlich unser Leben von früher spontan wieder hervorholen … Damals hatte Necmi ebenfalls unerwartet den Mädchen mit Flüchen vermischte Redensarten nachgerufen, ja, noch schlimmere, ohne sich zu genieren, und er hatte auch seine Antwort auf diese Weise gekriegt. Das war vor allem passiert, wenn die Lage gespannt war … In dem Augenblick war ich noch mehr davon überzeugt, daß wir eine echte Begegnung erlebten. Wir hatten uns nicht vorbereitet; diese Szene war nicht geprobt worden. Was passierte, passierte ganz spontan. Es war nun noch leichter, einander zu berühren, in jeder Hinsicht zu berühren. Dazu kam die Wirkung der ersten alkoholischen Getränke. Mit solchen Reden, gegenseitiger Neckerei und dem Auffrischen alter Erinnerungen verbrachten wir eine weitere Stunde. Dann klingelte es erneut. Wir erwarteten noch zwei weitere Gäste. Dieses Mal ging ich an die Tür. Als ich öffnete, stand ich einem dünnen, fast kahlköpfigen, freundlichen Mann in weißem Hemd und blauen Hosen gegenüber. In den Händen hielt er einen ziemlich großen Blumenstrauß und eine Flasche Wein. Hätte ich ihn auf der Straße gesehen, hätte ich ihn wohl nur schwerlich erkannt. Doch ich wußte, wen ich erwartete. Endlich stand ich Yorgos wieder gegenüber. Auch Çela war herbeigekommen, um ihn zu begrüßen. Sie nahm seine Gastgeschenke entgegen und stellte sie behutsam auf das Schränkchen im Flur. Wir umarmten uns schweigend. Anders ging es nicht. Auch das Zeremoniell des Bekanntmachens mit Çela verlief in dieser Atmosphäre. Ich konnte ihn aus ganzer Seele ›herzlich willkommen‹ heißen. Aus ganzer Seele. Dabei hoffte ich ihm vermitteln zu können, daß ein Willkommen bei mir zu Hause gleichzeitig ein Willkommen in Istanbul bedeutete … Ob er fühlte, was ich meinte, weiß ich nicht. Denn er begnügte sich höflich lächelnd mit einer gewöhnlichen Antwort des Dankes. Er hatte mich wohl schon richtig verstanden, vielleicht aber wollte er lieber so tun, als hätte er nicht verstanden. Da sagte ich, es seien nun alle da bis auf Niso. Ich hatte wieder den Wunsch, ihm auf meine eigene Weise etwas zu erzählen, mitzuteilen. Auf diese Worte hin äußerte er, er sei sowieso hergekommen, um alle zu sehen. Versteckte er sich wohl hinter der Maske eines selbstsicheren, abgeklärten Menschen, der sehr wohl wußte, was es bedeutete, den Realitäten des Lebens zu begegnen? … Dabei sah ich, daß er aufgeregt war. Seine Aufregung war echt, seine Freundlichkeit war echt, ohne Zweifel. Doch ließen mich seine Worte, seine Antworten in dem Moment auch andere Möglichkeiten vermuten. Andererseits war ich an die Situation schon gewöhnt. Die Helden dieses Spiels taten selbstverständlich die ersten Schritte auf die Bühne mit Befürchtungen, Zweifeln und geheimen Fragen … So einfach war das natürlich nicht … Auch er hatte höchstwahrscheinlich seit Jahren auf diesen Augenblick gewartet, nachdem er sich hinter vielen Ausflüchten versteckt hatte … Doch es hatte keinen Sinn, länger darüber nachzudenken. Als wir in den Salon eintraten, übernahm ich die Rolle des Zeremonienmeisters, um ihn ein wenig zu entlasten. In dem Moment wendeten sich uns alle Augen zu. Er wählte einen geistreichen Einstieg. Als versteckten sich hinter seinen Worten noch andere Worte … Andere Worte oder genauer gesagt das, was er wirklich sagen wollte:
    »Da bin ich … Ihr kennt mich wahrscheinlich! …«
    In dem Moment konnte ich besser verstehen, was ich beim ersten Eindruck ihm gegenüber gefühlt hatte. Er wirkte in seinen Bewegungen, seinem Benehmen, seiner Haltung und Sprechweise im Vergleich zu uns allzu ›westlich‹. Dagegen war nichts einzuwenden. Außerdem war das mein erster Eindruck. Ich konnte mich täuschen. Er schaute sich um. Zuerst sah er natürlich Şeli. Er ging lächelnd auf sie zu, faßte sie an den Schultern und begrüßte sie herzlich. Dann küßte er sie zärtlich auf beide Wangen, aber nicht wie eine ehemalige Geliebte, sondern wie eine kleine Tochter, die er sehr gern hatte und nach der er sich sehr gesehnt hatte. Das wurde auf dieselbe Art erwidert. Diese

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