Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
sie aus dem Mund eines ›Zuständigen‹ kamen. Obwohl das im Grunde egal war. Ich war bereit, unterstützende Worte anzunehmen, von wem auch immer sie kamen. Denn ich hatte das Bedürfnis, mehr als an meine Realität an die Wahrheit dieser Realität zu glauben. Ab einem gewissen Punkt, konnten unsere Lügen ja auch unsere Wahrheit sein …
Begegnung mit der Vergangenheit beim Essen
Von der Zeit, die wir für Şebnem reserviert hatten, damit sie sich an die ›Außenwelt‹ gewöhnte, in die hinaus sie nach Jahren den Schritt tat, erinnere ich mich jetzt vor allem an diese Augenblicke und Gefühle. Es gab natürlich Spannungen, doch die wurden überspielt durch Zartgefühl, und vor allem wurden Verunsicherungen nicht geäußert. Schließlich wollte niemand, daß die Spannungen das Spiel störten. Jeder war hinreichend einverstanden, das Erforderliche so zu spielen, wie es sich gehörte. Nun wurde es Zeit, daß die Gäste langsam eintrafen, besser gesagt, die anderen Helden des ›Spiels‹ auf die Bühne kamen. Es wurde Zeit, die anderen Begegnungen und Gefühle zu erleben … Die Protagonisten, die mit ihren Erzählungen meine Erzählung bildeten, würden nicht nur mir, sondern auch einander begegnen … Die ›Schauspieltruppe‹ würde endlich zusammenkommen … Alles hatte mit einem Traum angefangen … Mit einem ›Ob‹ und einem ›Vielleicht‹ … Jetzt aber wurde das zur Realität. Zu einer Realität, der wir, auch wenn wir gewollt hätten, nicht hätten entfliehen können, in der wir mit dem, was das Leben uns gegeben und genommen hatte, einander berühren würden …
Necmi läutete als erster an der Tür. Die Aufregung in seinem Gesicht war unübersehbar. Şebnem wirkte glücklich über das, was sie in der Küche getan hatte. Dieses Glück – freilich in Verbindung mit jener nicht so leicht zu verwischenden melancholischen Stimmung – spiegelte sich sowohl in ihren Augen, ihrem Lächeln als auch in ihren Bewegungen wider. Sie schien etwas lebhafter geworden zu sein. Doch erst recht war ihre Koketterie bemerkenswert, als sie Necmi, der auf ihre faszinierende Veränderung mit der Frage reagierte: »Wer bist du denn?« mit einem leicht femininen Blick antwortete: »Şebnem, ich bin Şebnem … Du dummer Dicker! …« Mir war das Zittern in Necmis Stimme nicht entgangen, vielleicht sogar ein wenig Angst. Ich kannte ihn sehr genau. Es fiel mir schwer, diese Besorgtheit zu verstehen. Auch entgingen mir nicht Şebnems Blicke, die wirkten, als verzeihe sie ihrem Geliebten nach einem langen Streit, langem Bösesein. Warum hatte ich diesen Eindruck? … Darauf wußte ich keine Antwort. Ich hätte mir sagen können, da denke ich mir nun wieder eine Geschichte aus. Doch in den folgenden Tagen sollte ich erkennen, daß meine Ahnungen richtiger waren als vermutet. Nach diesem Schlagabtausch umarmten sie einander, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen, wären weit voneinander entfernt gewesen, als hätten sie ihre Gefühle nicht vollkommen abtöten können … Sie hatten ja sowieso weite Fernen überwinden müssen, um bis zu diesem Augenblick zu kommen. Deswegen berührte mich auch diese Szene zutiefst. Es schien, als umarmten sie eigentlich auch das, was sie in jener Ferne verloren hatten, zurücklassen hatten müssen … Vor allem wir drei wußten, was in jenen Augenblicken nachbebte, wie erschüttert sie waren … Man hatte die Vergangenheit ja nicht umsonst erlebt … Dann ließen sie einander los. Sie schauten sich nun an, um wer weiß was zu finden oder wiedersehen zu können. Necmi sagte: »Sei willkommen!«, wobei er versuchte, den Bruch in seiner Stimme zu verbergen, und sie dankte ihm mit einem schmerzlichen Lächeln. Das war alles … Dann strichen sie einander über den Rücken. Ich war mir sicher, auch dieses Detail war nicht unwichtig. Şebnem erschien uns immer noch sehr schön … Denn mit anderen Augen hätten wir sie nicht sehen können. Schließlich waren wir in einem Spiel. Innerhalb eines Spiels, das wir auch mit unseren Lügen spielten, vielmehr spielen wollten … Mehr oder weniger, es kam nicht darauf an … Deswegen mußten wir uns nicht sehr bemühen, in Stimmung zu kommen. Daß gleich Alkohol serviert wurde, erleichterte die Sache noch. Insbesondere für Necmi, der sehnsüchtig darauf wartete …
Kaum war eine Stunde vergangen, als es wieder an der Tür klingelte. Dieses Mal war es Şeli, die eintraf. Sie war noch schöner, schicker und attraktiver als damals in Izmir. Man konnte ihr
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