Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
ein wichtiger Schritt … Denn in ihren Worten zeigte sich endlich eine Frage. Eine kindliche Frage, die sie selbst vielleicht in einem Spiel zeigte, das jedoch gleichzeitig den Versuch zu verstehen enthielt … Natürlich mußte man diesen Schritt entsprechend würdigen.
»Doch, sie ist schön … Ich mag sie sehr … Wenn du kommst, wird sie noch schöner …«
Was tat ich da? … Wer das hörte, dachte, ich brächte meine Geliebte zu mir nach Hause. Oder war es so? … Ich dachte nicht weiter darüber nach. Ihre Rührung, ihre kindliche Freude zogen mich in diesem Moment sowieso in eine andere Richtung. Sie schaute Zafer Bey an. Diese Blicke wirkten irgendwie fragend oder zumindest Hilfe erwartend. Der Mensch, an den sich diese Blicke richteten, mußte das Gefühl bekommen, er könne der Frau, die er seit Jahren beobachtete, um die er sich bemühte, eine kurze, aber ehrliche Erläuterung nicht versagen. Ja, er würde mit uns kommen, auch er würde stets an ihrer Seite sein … Ich war mir sicher, er war sich der Verantwortung bewußt. Schließlich taten wir einen Schritt, der uns allen sehr mutig vorkam. Auch die Oberschwester, die uns begleitete, sagte ein paar Worte, die zur Stimmung paßten.
»Du wirst dich gut amüsieren … Aber mach dir keine Sorgen, dein Zimmer hier bleibt dir …«
Diese Worte konnten verschieden ausgelegt werden. Sowohl aus der Sicht von Şebnem als auch aus der Sicht der Sprecherin … Doch ich wollte zuerst einmal das hier ausgedrückte Zartgefühl sehen. Şebnem erlebte wahrscheinlich, abgesehen von der Aufregung, nach so vielen Jahren ›nach draußen‹ zu gelangen, auch die Angst, nicht mehr in ihre Zuflucht zurückkehren zu können. Die Worte waren insofern feinfühlig, als sie aus dem Bemühen kamen, so eine Befürchtung auszuräumen. Als wir die Station verließen, fragte eine der Kranken, wohin Şebnem ginge, und bekam die Antwort, sie ginge spazieren. Auch diese Antwort war für sie eine Garantie, ein Wort, das ihr die Rückkehr versprach. Eine andere Kranke rief ihr etwas zu, eine weitere zeigte übertriebene Freudenbekundungen, obwohl sie vielleicht nicht einmal wußte, worüber sie sich freute. Şebnem schaute alle freundlich lächelnd an. Schließlich waren es ihre Schicksalsgenossinnen. Ihre Schicksalsgenossinnen, mit denen sie jahrelang das Leben geteilt hatte …
Danach gingen wir hinaus … Wir gingen ganz langsam. Wir hatten sie zwischen uns genommen. Sie schaute sich um. Als erwartete sie, daß andere Kranke bemerkten, daß sie fortging.
Es waren ein paar Minuten bis zum Auto. Ich öffnete der Frau, die ich bis zu dieser Stelle zu bringen geschafft hatte, die Tür mit dem mir inzwischen wohlbekannten Gefühl eines kleinen Sieges. Ich wußte, daß sie mich hören, in jeder Hinsicht hören würde. Mein Ton und meine Worte wurden von diesem Glauben getragen.
»Nun mal los, Şebnem Hanım! … Die Reise beginnt …«
Auf diese Worte hin zögerte sie ein bißchen. Es war, als verharrte sie zwischen Gehen und Nichtgehen. Es war einer dieser Momente, die einem endlos vorkommen. Doch dann nickte sie wieder mit einer Geste, die Schicksalsergebenheit oder die Erwartung des Kommenden ausdrückte. Sie stieg ins Auto, setzte sich auf den Sitz, schaute auf einen Punkt vor sich, als sähe sie dort einen ganz besonderen, ihr gehörenden Punkt, vielleicht zog sie sich aber bloß in sich zurück, verschränkte die Arme und wartete … Sie würde die Fahrt über neben mir sitzen … Wer weiß, was wir reden würden oder auch nicht … Zafer Bey stieg indessen hinten ein. Wir fuhren los. Ich fragte, ob sie Musik hören wolle. Sie antwortete nicht. Wenigstens erhob sie keinen Einwand. Ich startete die CD . Das Chanson Adieu mon pays von Enrico Macias erfüllte das Auto. »Ich habe mein Land verlassen … Ich habe eine Geliebte verlassen … Ich sehe immer noch ihre Augen …« Wie sehr liebte ich dieses Lied … Für mich war dieses Lied überhaupt nicht veraltet … Und für sie? … Der einzige Weg, das zu erfahren, war, sie zu fragen.
»Erinnerst du dich? …«
Sie nickte wie ein Kind. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Man konnte denken, daß sie gerührt, traurig war, aber man konnte sich auch sagen, daß es ihr gutging, daß sie sehr glücklich war. Ihre Blicke drückten letzteres aus. Gleichzeitig war ich auch jederzeit darauf gefaßt, daß Zafer Bey etwas sagte. Ich wollte keinen falschen Schritt tun. Dann kamen andere Chansons an die Reihe. Ich kündigte ihr jedes
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