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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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hätte mich nicht gefragt, wo in diesem Leben ich stand. Diese Frage hätte mich nicht dorthin gezogen, wo ich manche Dinge und Menschen zurückgelassen hatte. Das Gefühl, daß diese zurückgelassenen Orte, die ich unbewußt gemieden hatte, weil ich mich nicht mit meinen Schwächen auseinandersetzen wollte, wie Ruinen aussahen, hätte mich nicht aufs neue erfaßt. Ich wäre nicht wieder zu jenen Ruinen zurückgekehrt, um meine Wunden, die sich nicht schließen wollten, die ich trotz der Zauberkraft des Vergessens nicht hatte heilen können, mit denen ich nur besser auszukommen gelernt hatte, noch einmal mit anderen Worten und Bildern zu verbinden. Ich hätte nie erfahren, wie sehr ich mich nach jenen Menschen sehnte. Ich hätte jene Menschen nicht noch einmal mit jenem Spiel in Verbindung gebracht. Die Helden jenes alten, nie endenden Spiels … Dieser Satz hat für mich inzwischen eine so große Bedeutung … Jenes Spiel bedeutet inzwischen so viel …
    Ja, mit jener Erschütterung hat alles noch einmal angefangen. Später folgten weitere Erschütterungen … Und zwar Erschütterungen, die ich in keiner Weise erwartet hatte … Vielleicht ist das Spiel auch noch nicht zu Ende. Vielleicht hat das Spiel noch andere Szenen, die mich in Zukunft noch weiter verändern, die mich zur Selbsterkenntnis führen werden.
    Damit ich aber von meinem Platz aus, von dieser Ecke der Bühne her, auf mein Leben blicken konnte, war es absolut notwendig gewesen, das Stück erneut zu inszenieren. Erneut, trotz aller Veränderungen und der dazwischenliegenden Jahre … Mit all seinen Bedeutungen … Ich mußte die Mitspieler aus der ›Schauspieltruppe‹ finden, die ich in dem langen Kampf verloren hatte. Mit all ihren Nöten, Unsicherheiten und Hoffnungen … Wieder um meiner selbst willen … Damit ich mit dem fertig wurde, was jene Erschütterung in mir geweckt hatte … Um besser zu hören … Um noch einmal an mich zu glauben und an das, was ich erlebt hatte … Erstmals nach so vielen Jahren, seit ich in der Hoffnung auf ein neues Leben in den Laden gekommen war, verspürte ich wieder dieses Bedürfnis … Ich wollte mich aus ganzer Seele an die mir noch verbleibenden Tage klammern. Der Unterschied war, daß ich dieses Mal nicht mit dem Verlangen zu flüchten antrat, sondern mit dem Mut zur Rückkehr … Was wollte ich tun? … Ich hatte nur wenige Anhaltspunkte …
    An einem der hellsten Anhaltspunkte befand sich Necmi. Ich versuchte ihn zu sehen. Das kleine Licht zitterte und wirkte in der Finsternis recht erschreckend. Doch mir blieb keine andere Wahl, als dem Licht zu folgen. Necmi … Den ich im Grunde nie vergessen hatte, den die Jahre in einem anderen Spiel, und zwar einem sehr bösen Spiel, von mir weggeführt hatten … Unsere Geschichte verlangte, daß ich zuerst ihn suchte für mein Spiel, für das Spiel, das ich nach Jahren erneut spielen, auf die Bühne bringen wollte … Ich überließ mich dieser Eingebung. Natürlich ohne zu ahnen, wo ich anklopfen würde, zu welchem Leben diese Tür führen würde …

Wir hatten so sehr an jenen Kampf geglaubt …
    Der Anknüpfungspunkt war eine Telefonnummer. Die Nummer von Necmi, die ich aus früheren Jahren noch hatte … Inzwischen war unendlich viel Zeit vergangen. Für manche eine ganze Lebenszeit … Es war gut möglich, daß ich den Gesuchten gar nicht antraf. Im schlimmsten Fall waren am anderen Ende der Leitung fremde Leute, doch einen Versuch war es wert. Langsam drückte ich die Tasten, und mit jeder Zahl wurde ich aufgeregter. Ich hatte mich in keiner Weise vorbereitet. Falls er ans Telefon kam, wollte ich aus meinem spontanen Gefühl heraus reden. Ich mußte nicht lange warten. Binnen kurzem meldete sich eine Frauenstimme. Die Stimme kam mir sehr bekannt vor. War ich richtig? … Um das zu erfahren, mußte ich fragen. Natürlich blieb ich weiterhin förmlich. Schließlich war der Kontakt seit vielen Jahren unterbrochen …
    »Guten Tag … Ich hätte gerne Necmi Bey gesprochen …«
    Nach ganz kurzem Schweigen folgte eine förmliche Antwort.
    »Im Moment ist er nicht zu Hause … Wer sind Sie denn, mein Herr?«
    Nur diejenigen, die diese Frau sehr gut kannten, konnten hinter dieser Förmlichkeit den Schalk eines Kindes erkennen, das jederzeit zum Spielen aufgelegt war. Die Jahre hatten diese Stimme nur ein wenig kraftloser und zittriger gemacht. Auch ich schwieg kurz. Ich bemühte mich, das Gespräch mit den beeindruckendsten Worten fortzusetzen, die mir

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