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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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nicht vor mir verbargen, einen seltenen Spaß billig erkauft. So gesehen hatte ich das Grab meines Vaters sehr ›günstig gekauft‹, wie er selbst gesagt haben würde, und sogar seinen Tod benutzt, um eine hinterhältig aussehende, doch ganz unschuldige Rache zu nehmen. Was hätte ich noch verlangen können? … Es war dies einer meiner Versuche, diese Stimme, die mir all die Jahre innerlich weh getan hatte, so tief wie möglich woanders zu begraben. So tief wie möglich … Indem ich mich bemühte, sie zu vereinfachen, zu banalisieren, herabzusetzen … War es mir aber gelungen, die Werte tief genug zu vergraben, die er vertrat, oder zumindest in meinen Augen vertrat, und die, wie ich glaubte, mich hinderten, ein Leben nach meinen Vorstellungen zu führen? … Ich weiß nicht. Das Schlimme ist, daß ich inzwischen nicht mehr weiß, wie sehr ich das eigentlich möchte … Dennoch habe ich ein paar Dinge getan, die er nie hatte tun können, die ihm nicht mal in den Sinn gekommen wären.
    Ich gehöre wahrscheinlich zu den Juden der zweiten oder dritten Generation, die sich bemühen, dem Fluch des Geldes zu entfliehen. Über diesen Zusammenhang habe ich zum ersten Mal bei der Lektüre von Die Welt von Gestern von Stefan Zweig nachgedacht. Diese traurige Biografie wurde im Laufe der Jahre zu einem der Bücher auf meinem Nachttisch, die ich immer wieder las. Woher hätte der Autor wissen sollen, daß diese Zeilen in ihrer Wirkungsmacht dem Leben eines anderen Juden in Istanbul in einer ganz anderen Zeit und in einem ganz anderen Gefühlsklima einen Sinn geben, ein neues Fenster öffnen würden? … Womöglich reisten Bücher, die mit wahrem Gefühl geschrieben waren, über die Grenzen ihrer Sprache hinweg durch die Welt. Vielleicht erschien mir das Geschriebene deshalb nicht ›fremd‹. Die Erwartungen und die Ängste trafen sich trotz aller Unterschiede in sehr ähnlichen Bestrebungen und Hoffnungen. Wie anders kann ich meinen wachsenden Wunsch nach Beschäftigung mit unterschiedlichen Kunstrichtungen erklären, um mich noch mehr selbst zu finden, zu leben und zu lieben? … Beispielsweise war ich bisweilen ganz fasziniert vom Fotografieren. Ich habe unzählige Dias, die alle in besonderen Schubladen archiviert sind. Dort leben nicht nur die Farben, die Winkel und Ansichten dieser meiner Stadt, mit der ich ein Liebesverhältnis habe, sondern auch vieler ferner Städte, die mich stark beeindruckt haben. Denn bis heute habe ich viele Reisen gemacht, auf denen ich im Rahmen meiner Möglichkeiten in vielen Straßen viele Momente für immer festgehalten habe. Meine Reiselust und meine Leidenschaft für die Fotografie ergänzten einander. Das waren teure Leidenschaften, doch ich zögerte nicht, den notwendigen Preis zu zahlen für das, was sie mich erleben und gewinnen ließen. Zur Gegenleistung gehörte auch die Zeit, die ich für meine im Grunde nie geliebten Geschäfte aufbringen mußte. Doch ich hatte die Tatsachen seit langem akzeptiert. Wenn ich mir meine Wünsche erfüllen wollte, war ich gezwungen, auch das Ungeliebte zu tun. So einfach war die Sache.
    Natürlich kannte ich mich mit allen technischen Fortschritten der Fotografie aus. Jede Neuerung vereinte zugleich ein Sterben und eine Geburt. Von den Schwarzweißfotos, die in Dunkelkammern abgezogen wurden, sind wir heute bei Bildern angelangt, die wir auf einem kleinen Bildschirm betrachten und sofort bekommen können. Unter dem Eindruck dessen, was ich erlebt habe, möchte ich am liebsten wieder in jene Welt der Schwarzweißfotografie, in jene Dunkelkammer zurückkehren. Ich habe mit ein paar befreundeten Fotokünstlern gesprochen. Sie sagen, sie könnten mir Workshops empfehlen, wo ich mich weiterbilden könne.
    Wieweit ist es möglich, zurückzukehren? … Was hat es für einen Sinn? … Inwieweit ist es notwendig? … Diese Fragen passen so gut zu der Erzählung, zu der ich gewagt habe mich auf den Weg zu machen … Ich wäre wahrscheinlich eher von der Sinnlosigkeit einer Rückkehr in die Vergangenheit überzeugt gewesen, hätte nicht jene große Erschütterung, die mein Leben mit Mitte Fünfzig in eine andere Richtung lenkte, in einem unerwarteten Moment jenen Raum in meinem Inneren zerstört, der auf gar nicht so festen Grundlagen stand, wie ich gemeint hatte. Hätte ich dieses Erlebnis nicht gehabt, dann hätte ich den anderen Beteiligten an dem Spiel nicht aufs neue begegnen wollen. Ich hätte nicht erkannt, daß ich nicht wirklich im Frieden mit mir war,

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