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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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einfielen.
    »Fatoş Abla, bist du es? … Sag bloß, du kennst mich nicht!«
    Es war die Mutter meines Freundes, aber sie selbst hatte gewollt, daß ich sie abla , ältere Schwester, nannte. Bei dieser neuerlichen Begegnung mit der Frau, der ich mich manches Mal näher gefühlt hatte als meiner Mutter, konnte ich meine große Vertrautheit ihr gegenüber auf diese Weise nur unbeholfen ausdrücken. Unser Alter hatte inzwischen nichts mehr zu sagen, und auch unsere Vergangenheit hatte nichts zu sagen. Die Zeit schien abermals stehengeblieben zu sein. Ich wartete, ob dieselbe Vertrautheit auch von ihrer Seite kam. Ich wurde nicht enttäuscht. In ihrer Stimme lag eine Mütterlichkeit, die auch von ihrer Seite das Gefühl wachrief, als wäre die Zeit stehengeblieben, und die Mütterlichkeit führte unausweichlich zu einem Vorwurf. Es war ein lächelnder Verweis, so wie in den mir wohlbekannten Zeiten, die in diesem Augenblick plötzlich zurückkehrten. Und noch wichtiger, in dieser Stimme lagen immer noch dieser Leichtsinn und das Erotische.
    »Isi, mein Junge, wo steckst du denn bloß? … Du bist mir aber ein Treuloser! … Man ruft doch wenigstens mal an!«
    In einem Moment schienen die vergangenen Jahre wie weggewischt. Die Wirkung dieses Gefühls der Erleichterung verlangte nach Scherzhaftigkeit.
    »Ich hatte soviel Sehnsucht nach dir, da habe ich es nicht mehr ausgehalten und angerufen …«
    Natürlich kam sofort die Antwort: »Jetzt reicht's aber, du Lügner! Los, sag mal, was hast du gemacht? … Hast du geheiratet? …«
    Es war nicht schwer, die zweite Frage zu beantworten. Doch warum stellte sie diese Frage so früh und direkt. Ich sagte, daß ich verheiratet sei und zwei Kinder habe, einen Jungen und ein Mädchen. Das wurde erwartungsgemäß gewürdigt. Auf die Frage nach meiner Tätigkeit hatte ich mir inzwischen elegante, harmlose, abgerundete Formulierungen zurechtgelegt. Ich sagte kurz, was es zu sagen gab. Dann fragte ich nach Necmi. Wieder schwieg sie kurz. In dem Moment bereitete ich mich auf jede erdenkliche Antwort vor. Ihre erste und natürlich kommentierte ›Information‹ klang, als beklagte sie sich über ihren Sohn.
    »Er reist, er ist viel auf Reisen …«
    Diese Worte konnten viele Verhältnisse und Lebensweisen andeuten. Ich schwieg und versuchte, sie spüren zu lassen, daß ich eine Erläuterung erwartete.
    Ihr Sohn sei schon seit Jahren Fremdenführer. Er sei in Istanbul, ich könne ihn anrufen, ich müsse ihn unbedingt anrufen, er würde sich sehr freuen, wenn er meine Stimme höre, er habe viele Male sehnsüchtig von mir gesprochen, schon bald werde er wieder zu einer langen Anatolientour aufbrechen, er arbeite viel, er verdiene zwar gut, aber weil er keine ortsfeste Arbeit gefunden habe, habe er nicht geheiratet, kein Heim gegründet, jahrelang sei er mit einer Reiseleiterin herumgezogen, doch schließlich habe er sich auch von ihr getrennt, er komme einfach nicht zur Ruhe, lebe wie ein Vagabund …
    So erfuhr ich die Lebensgeschichte von Necmi aus ihrer Sicht. Es fiel mir schwer zu glauben, was ich gehört hatte. Ich war verwundert, höchst verwundert. Wie sollte ich denn nicht verwundert sein … Ich fand meinen Freund, von dem ich immer gehofft und geträumt hatte, er würde mir aus einem ganz andersartigen Leben, aus weiter Ferne winken, in ein Netz von Beziehungen verwickelt, wie ich es nie erwartet hätte. Ich wußte, es gab im Leben für jede Entscheidung berechtigte Gründe. Gleichzeitig hielt mich meine Verwunderung davon ab, einen Kommentar zu geben. Ich konnte nicht antworten. Obwohl ich spürte, daß von mir in diesem Augenblick ein paar ergänzende Worte erwartet wurden, mit denen ich ihre Vorwürfe bestätigte … Um das Schweigen zu brechen, fragte ich, wie ich Necmi finden könne, und um sie nicht zu enttäuschen, sagte ich, daß ich den Vagabunden zur Rechenschaft ziehen würde. Sie lachte und sagte, daß dieser Vagabund keinerlei Vorwürfen von wem auch immer zugänglich sei, aber vielleicht würde er ja auf mich hören. Dann berührte sie mit zärtlicher, womöglich auch sehnsüchtiger Stimme, die mir das Gefühl gab, sie vermißte irgendwie gewisse Zeiten schon sehr, eine der brennendsten Wunden unserer Geschichte jener weit hinter uns liegenden Tage …
    »Was wart ihr doch für gute Jungen … Was für gute Kameraden …«
    Ich wußte erneut nicht, was ich sagen sollte. Dieses Mal konnte ich nicht sprechen. Sonst hätte ich vielleicht geweint. Meine Kehle

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