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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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doch offen gesagt hielt mich mein Feingefühl davon ab, mich allzusehr in das Privatleben der anderen einzumischen. Da sie mich ebenfalls nicht anriefen, versuchte ich, mich damit zu beruhigen, daß es schon keine Probleme gäbe und sie mit ihrem Leben zufrieden seien. Doch drei Tage später, mittags gegen halb eins, als ich mir gerade überlegte, ob ich zu unserem Restaurant Süreyya gehen und pilaki 24 essen sollte, klingelte mein Handy. Es war Necmi, ich nahm das Gespräch sofort an. Er fragte nicht erst nach meinem Befinden, sondern kam sofort zur Sache.
    »Wo steckst du denn, Junge? … Morgen ist hier Party! … Şebnem hat gerade vor der Kommission bestanden. Sie kann endlich raus. Das Personal will eine kleine Feier für sie veranstalten. Bring die anderen mit, und komm! … Morgen früh um elf, kapiert?«
    Wieder mal wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte nicht reden, das Schlucken fiel mir schwer. Schließlich konnte ich nur mit schwacher, zitternder Stimme erwidern:
    »Gut, mach dir keine Sorgen … Morgen sammle ich alle ein und bringe sie hin …«
    Reichte das? … Natürlich nicht. Weder für mich noch für ihn. Im Grunde wollte ich schreien, laut herausschreien, um meine Freude richtig auszudrücken … Was er wohl fühlte? Der einzige Weg, das zu erfahren, war zu fragen. Er antwortete, er sei ebenfalls seit Jahren nicht mehr so aufgeregt gewesen. Ich verstand. Er hatte sich auf einen Weg gemacht und hatte zudem einen anderen Menschen mit auf diesen Weg genommen, das war nicht leicht. Doch ich wußte, daß er sich eine solche Aufregung gewünscht hatte, und insbesondere, warum er sie sich gewünscht hatte. Ich würde ihn soweit wie möglich unterstützen. Ich mußte ihm das Gefühl geben, daß ich bereit sei, erneut meine Hand auszustrecken. Um ihn zum Lachen zu bringen, mußte ich das Pflänzchen ein wenig begießen. So konnte ich anfangen.
    »Was sagt denn Fatoş Abla zu dem Ganzen? …«
    Ich stellte mir vor, wie er lächelte. Seine Antwort verriet überdeutlich dieses Lächeln.
    »Frag bloß nicht … Du solltest mal sehen, wie aufgeregt die Frau ist, Junge! … Sie ist zum Frisör gegangen, hat die ganze Wohnung aufgeräumt. Sie kocht Essen … Morgen will sie sogar Weinblätter wickeln …«
    Unmöglich, nicht zu lachen. Fatoş Abla und Essen machen … Das waren zwei Dinge, die schwerlich zusammenpaßten … Sie hatte damals überhaupt nicht gerne gekocht. Deswegen hatte sich Necmi immer sehr wohl gefühlt, wenn er zu uns gekommen war. Plötzlich hatte ich diese Bilder vor Augen, und ich erinnerte mich, wie er einmal bei Tisch, als er die Speisen meiner Mutter mit großem Appetit vertilgte, gesagt hatte: »Hier ist ein richtiges Zuhause.« Ich weiß nicht, inwieweit meine Eltern verstanden, was er damit sagen wollte, doch ich verstand es. So gut, daß ich das Gehörte sehr tief in mir versteckt hatte. Jetzt kamen die Worte wieder hervor … Ich versuchte, ausgehend von den Bildern in mir, Fatoş Abla in meinem Gedächtnis wiederzubeleben. Auch in dem, was sie mir, uns hinterlassen hatte, lag eine Epoche. Eine Epoche, die sich nicht auslöschen ließ, selbst wenn Jahre vergangen waren … Ich verlieh meinem Gefühl Ausdruck.
    »Ganz bald werde ich kommen und sie besuchen. Ich fürchte mich sehr, aber ich werde kommen. Vielleicht kommen wir ja alle miteinander sogar schon morgen zu euch …«
    Ohne viel zu überlegen, antwortete er sofort:
    »Das wollte ich auch schon sagen. Komm! … Jetzt ist gerade der richtige Zeitpunkt! Außerdem geniert sie sich dann ein bißchen vor Şebnem und wird dich weniger runterputzen!«
    Wir lachten wieder. Ich versprach zu kommen und sagte auch, daß der Tag, den wir erleben würden, für uns alle sehr wichtig sein würde … Wir würden uns erneut alle an einem Ort versammeln. Auch wenn dies ganz unterschiedliche Erschütterungen auslösen sollte … Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, rief ich voll Aufregung die anderen an. Endlich hatte ich einen triftigen Grund. Ich hatte Glück und konnte alle innerhalb kurzer Zeit erreichen. Als sie die Nachricht hörten, freuten sie sich sehr und sagten begeistert zu. Als Treffpunkt vereinbarten wir das Atatürk-Kulturzentrum am Taksimplatz, das so viele Istanbuler sehr gut kannten. Hatten wir uns dort nicht schon mindestens einmal mit unterschiedlichen Menschen, unseren unterschiedlichen Geschichten getroffen? … Andere unvergeßliche Momente erwarteten uns …

Der Koffer auf dem Bett und die

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