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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Lautsprecher die Ansage der Mannschaftsaufstellung ertönte, erreichte die Aufregung ihren Höhepunkt. Danach begann auch schon das Spiel. Auf allen Gesichtern lag der Glaube an den Sieg. Unsere Jungs stürmten ununterbrochen. Schon in den ersten fünfzehn Minuten hatten wir drei wichtige Torchancen vergeben, zwei durch Kopfball von Andersson, eine bei einem Schuß von Serhat. Dann schoß Serhat nochmals, und Torhüter Şenol wehrte ab, dann schoß wieder Andersson, und Şenol wehrte erneut ab. Der Ball ging einfach nicht ins Netz. So endete die erste Halbzeit torlos. Dieses Mal breitete sich leichte Besorgnis auf den Gesichtern aus. Dann begann jene wundervolle zweite Halbzeit. Zuerst verschoß Andersson und dann Rapaiç. Danach kam jenes unvergeßliche Tor … Yusuf drang von rechts in den Strafraum ein, zog an zwei Gegnern vorbei und spielte einen traumhaften Paß zu Revivo. Der stand in der Nähe des anderen Torpfostens und schoß den ankommenden Ball mit dem Außenrist ins Netz. Ein phantastischer Schuß. Der Ball landete in der Torecke, die Şenol nicht erreichen konnte. Der Begeisterungssturm im Stadion zeigte nur zu gut, was Fußball einen erleben lassen konnte … Als Revivo seinem Tor auch noch eine Kaskade von Purzelbäumen hinzufügte, entstand richtige Feststimmung. Doch das allerwichtigste war, wie wir drei uns aus Freude über das Tor umarmten. Voller Gefühl war diese Umarmung … In dieser Umarmung lag nicht nur das Glücksgefühl über ein Tor. Es ging auch nicht nur um die Freude, in jenem Stadion auf jener Tribüne zusammenzusein. Diese Umarmung lag eingebettet in all unsere zurückliegenden Spiele und Fußballerinnerungen … Diese Umarmung lag eingebettet in unsere Geschichte und darin, daß es uns trotz der Trennung gelungen war, uns diesem Gefühl nicht zu entfremden und wir selbst zu bleiben. Wie sollte ich sonst erklären, daß wir unsere Tränen nicht aufhalten konnten, als wir einander voller Glück umarmten? … Hätte es solch einen Moment nicht gegeben, dann hätten wir vielleicht unser Innerstes nicht dermaßen nach außen gekehrt. Aber hatten wir uns nicht auch im stillen auf diesen Moment vorbereitet?…
    Inzwischen lief das Spiel weiter. Es vergingen kaum zehn Minuten, bis Lazetiç die Torchance vergab. Der Ball ging am Tor vorbei und verfing sich seitlich im Netz … Doch gegen Ende des Spiels erbebten die Tribünen noch einmal. Es war in der dreiundachtzigsten Minute. Andersson köpfte einen weiten Abschlag von Rüştü an die Strafraumgrenze, Revivo täuschte die Abwehr und drosch den Ball ins linke Toreck. Wir lagen 2:0 vorn. Das war dann auch der Endstand. Wir hatten gewonnen. Und zwar mit zwei Toren, einem schöner als das andere … Zwar hatte auch Galatasaray gewonnen, was die Entscheidung der Meisterschaft auf die letzten Spiele verschob, wie wir vermutet hatten … Trotzdem verließen wir das Stadion voller Freude. Es war nach neun Uhr. Wir hatten Hunger bekommen. Wir hätten irgendwohin zum Essen gehen können. Doch auf dem Weg zu unserem Auto sahen wir im Gedränge plötzlich einen köfteci . Dieses Detail konnte uns nicht entgehen. Niso schaute uns wieder mit dieser Begeisterung kindlich lächelnd an, als wollte er sagen, macht ihr mit? … Wir brauchten nichts zu sagen. Schnurstracks rannten wir auf die Stelle zu, woher der wundervolle Duft kam. Jeder ließ sich ein halbes Brot mit köfte machen. Auch Zwiebeln durften nicht fehlen. Wie viele Erinnerungen erwachten doch bei diesem Anblick … Wir aßen unsere köfte -Brote dort wie Kinder … Mit jenen weit entfernten Bildern in uns … Würden unsere Münder jetzt nach Zwiebeln stinken? … Und wenn, dann stanken sie halt, wen kümmerte das … Nachdem wir auch diesen Moment noch hatten erhaschen können … Noch dazu ohne Vorbereitung … Darin lag der Zauber … Fünfzigjährige Kinder konnten ein Fußballspiel nach all den Jahren nur so erleben …
    Dann stiegen wir ins Auto und machten uns auf den Weg nach Hause, wobei wir natürlich das Spiel diskutierten. Ich hatte einen der intensivsten Abende unserer Begegnung nach all den Jahren erlebt. Nachdem wir die Bosporusbrücke passiert hatten, verlangte Niso, ich solle ihn in Mecidiyeköy absetzen. Er wollte in das Haus zurück, wo er vorübergehend wohnte, und ein wenig allein sein. Vielleicht versuchte er, uns damit auch etwas mitzuteilen. Denn er sagte, wir würden zu Hause erwartet. Manche Worte konnten ja ihre Bedeutung in gewisser Weise verbergen … Ich schaute

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