Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
aber eine Zuflucht. Nun verließ sie diese Zuflucht – und zwar für immer … Nach kurzer Zeit kam auch Zafer Bey dazu. Wir wechselten ein paar Worte. Einige Kranke pflaumten ihn an. Eine fragte, warum die Torte noch immer nicht gekommen sei. Endlich traf die erwartete Torte ein. Es war eine große Torte mit dem Schriftzug: »Şebnem, wir lieben dich … Gute Reise …« Als Şebnem die Aufschrift las, war sie sehr bewegt. Sie hielt die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen. Necmi war neben ihr. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, küßte sie auf die Haare. Wir standen alle um den Tisch herum und waren ebenfalls sehr gerührt. Ein paar Kranke hatten schon angefangen, die Kekse und die kleinen Pizzen zu essen. Die Oberschwester ermahnte sie freundlich. Noch war die Torte nicht angeschnitten worden. Außerdem sollten Reden gehalten werden.
Zuerst ergriff Zafer Bey das Wort. So gehörte es sich auch. Seine Rede war aufrichtig, schlicht und sehr kurz. Er sagte, er sei stolz auf Şebnem und er glaube fest an ihren neuen Weg … Auch sei er beruhigt zu wissen, daß sie ihr Leben mit Menschen, die sie liebten, wirklich liebten, fortsetzen würde … Er versäumte auch nicht, dem Krankenhauspersonal sowie mir und Necmi zu danken. Dann schaute er mich an, nun war ich an der Reihe. Ich sagte, ich glaubte, einen der größten Erfolge meines Lebens errungen zu haben, indem ich zu Şebnems Rückkehr in unsere Mitte beigetragen hätte. Şebnem würde sich von nun an nicht mehr verlassen fühlen. Wir würden immer bei ihr sein. Immer bei ihr … Bis zu unserem letzten Atemzug … Die Freunde und das Krankenhauspersonal, das ich in diesem Kampf immer an meiner Seite gewußt hatte, schauten mich lächelnd an. In dem Augenblick sah ich vor allem, wie Şebnem lächelte, und ich freute mich. Sie war sehr bewegt. Ich wußte, ich hatte sie erreichen können, ich hatte mich ihr endlich verständlich machen können. Ich wußte auch, ich würde ihr alles sagen können, was ich sagen wollte … Auch daß sie von mir immer Offenheit erwartete … Dann ergriff Necmi das Wort, doch er sagte nicht viel, nur daß er Şebnem sehr liebe. Das war genug, für uns alle mehr als genug … Die Stimme, die diese Liebesworte sprach, zitterte vor Aufregung … Zuletzt sollte Şebnem reden … Sie sagte, sie sei sehr durcheinander. Sie würde sich nach dem Zimmer sehnen, in dem sie jahrelang gewohnt hatte, nach dem Garten, in dem sie sich erholt hatte, und nach ihren Schicksalsgenossen. Ihre Bilder würde sie nicht mitnehmen. Sie gehörten zu den Dingen, die sie zurückließ. Zu allem, was sie zurückließ und zurücklassen wollte … Als sie sich bei uns allen bedankte, wirkte sie freudig, hoffnungsvoll, aber zugleich ein wenig besorgt. Mir entging diese Besorgnis nicht.
»Ich gehe … Doch eigentlich weiß ich nicht, wohin ich gehe …«
Eine kurze, tiefe Stille folgte. Angesichts dieser Äußerung fand keiner von uns beruhigende Worte. Ihre Stimme brach. Dann schluckte sie und versuchte, sowohl sich selbst als auch uns in Partystimmung zurückzuholen.
»Los jetzt, laßt uns die Torte anschneiden! …«
Sie nahm das Messer zur Hand und schaute den direkt neben ihr stehenden Necmi lächelnd an … Auch Necmi griff nach dem Messer und bedeutete mir mit Blicken, mich ihnen anzuschließen. Ich konnte mich diesem Appell nicht entziehen und ging zu den beiden hin. Wir nahmen Şebnem in unsere Mitte. Zu dritt hielten wir das Messer, und mit übereinandergelegten Händen schnitten wir die Torte an. Es war ein wundervoller Moment. Er war wie die Zusammenfassung all dessen, was wir erlebt hatten. Auf diesen Moment hatten wir nach all dem Leid so sehr gewartet … Wir wurden beklatscht. Doch es gab auch welche, die uns Beifall klatschten, ohne dort zu sein, beziehungsweise die sich in einer Ecke versteckten, so daß man sie nicht sehen konnte. Das waren die Seiten von uns, die wir irgendwo hatten liegenlassen, die wir nicht hatten berühren können, vor denen wir uns gedrückt hatten, die wir bereuten, die wir verloren hatten, die sich von uns getrennt hatten … Das waren wir … Die wir im Inneren zerrissen waren … Die wir uns noch immer bemühten, die Teile zu suchen, zusammenzufügen … Wir würden auf diesem langen Weg weiter vorangehen … Wir hatten uns gegenseitig so akzeptiert, wie wir waren …
Die Torte erwartete nun, daß wir uns an ihr erfreuten. Mit echter und verdienter Freude … Wir aßen sie mit großem Vergnügen. Natürlich
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