Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
wir beide aufrichtig waren in dem, was wir sagten und was wir den anderen fühlen lassen wollten. In dieser Situation hätte ich fragen können, was der Punkt, an dem ich mich befand, mir noch an Erlebnissen bereiten würde. Doch ich unterließ das und sprach mit ihr lieber über das ›Stück‹. Zusammen mit Şeli hatte sie gute Arbeit geleistet. Der Salon würde voll sein. Alle hatten sich mit ihrer Rolle identifiziert, ihren Text auswendig gelernt, waren in guter Stimmung. Ich hatte viele Gründe, den Tag gut zu beginnen und heute zuversichtlich zur Schule zu gehen … Ich las ein wenig in der Zeitung, um meine Aufregung zu dämpfen. Doch die Lektüre steigerte meine Aufregung noch. An jenem Abend würde während der Aufführung des ›Stücks‹ ein Teil von mir, mochte man ihn nun Gehirn, Geist oder Herz nennen, in Samsun sein … Immer noch war die Meisterschaft für Fenerbahçe in Gefahr. Wir mußten in jenem Spiel zumindest ein Unentschieden erreichen. Nachdem wir schon so weit gekommen waren, wollte ich an ein unerwartetes Ergebnis nicht mal denken, doch so etwas war natürlich immer noch möglich. Leider würden wir das Spiel nicht sehen können … Um diesem Mangel wenigstens ein bißchen abzuhelfen, traf ich eine kleine Vorbereitung. Unser ›Stück‹ begann um acht. Als ich mit Necmi den Text der Einladung verfaßt hatte, war uns dieses Detail leider entgangen … Irgendwo im Haus hatte ich ein seit Jahren nicht benutztes, tragbares kleines Radiogerät, das ich seinerzeit wegen seiner starken Kurzwelle gekauft hatte. Obwohl inzwischen Jahre vergangen waren, funktionierte es noch immer ohne Mucken. Zumindest die erste Halbzeit des Fußballspiels würden wir miteinander hören können. Am Radio … Wie in unseren Kindertagen, als es in unserem Leben noch kein Fernsehen gegeben hatte … Zu diesem Gefühl würde nun auch noch die Aufregung des Theaterspiels hinzukommen. Was konnte ich von einem Tag mehr verlangen. Es schien allerdings, als könnten wir die zweite Halbzeit nicht hören, weil wir da auf der Bühne standen. Beziehungsweise hing das davon ab, wann wir in den Kulissen waren. Es gab auch Szenen, wo wir nicht alle gleichzeitig auf der Bühne standen. Als ich mit dem Radio in die Schule kam und den Grund dafür erklärte, breitete sich auf Nisos Gesicht wieder jene kindliche Freude aus. Die gleiche Freude sah ich auch bei Necmi. Unsere Freude wurde freilich von Yorgos, der seine Anspannung als Regisseur, zumal unmittelbar vor der Aufführung, nicht abschütteln konnte, anfänglich als Unernst beurteilt … Sicherlich spielte bei seinem Mißfallen auch mit, daß er Anhänger von Galatasaray war, selbst wenn er das nicht zugab … Doch in kurzer Zeit gelang es uns, ihn milder zu stimmen. Offen gesagt mußten wir uns nicht sehr anstrengen. Auch er wußte ja, was wir warum spielten. Wir hatten uns ja mit diesen Gefühlen auf das Spiel vorbereitet. Wir zogen unsere Kostüme an. Çela und Şeli schminkten uns. Als es sieben Uhr wurde, waren wir sowohl bühnenfertig als auch bereit, die Übertragung des Fußballspiels anzuhören.
Dann begann das Spiel. Es ging hin und her, rauf und runter … Noch waren keine 30 Minuten gespielt, da passierte, was wir befürchtet hatten. Ilhan Mansız spielte auf dem eigenen Platz in Samsun natürlich groß auf. Das Tor war auch ihm zu verdanken. In einem überraschend schnellen Angriff köpfte er den Ball zu Ali, der die Abwehr austrickste und den Ball in unser Tor knallte. Das Albtraumszenario hatte sich verwirklicht. Wir lagen mit 0:1 im Rückstand … Wie sollten wir in so einer Verfassung auf die Bühne hinaustreten? … Doch in der letzten Minute vor der Halbzeitpause fiel das Tor, das uns begeistert auftreten ließ. Rapaiç wurde kurz vor dem Strafraum gefoult. Revivo führte den fälligen Freistoß aus. Als der Reporter das Tor verkündete, umarmten wir uns wie im Stadion. Der Ausgleichstreffer war nun gefallen, und ein Unentschieden reichte uns. Wie wir vermutet hatten, ging Galatasaray zu Hause in Führung, doch das war unwichtig. Selbst wenn sie gewonnen hätten, wären wir nun Champion geworden. Allerdings stand uns nach dem Ende der ersten Halbzeit noch die höllische zweite Halbzeit bevor, die unsere Aufregung wachhalten würde. Gleichzeitig sollten wir auf der Bühne unser ›Stück‹ spielen. Auch jenes ›Spiel‹ mußte gespielt werden. Wir traten auf die Bühne und gaben in unseren Rollen das Beste. Insbesondere Şebnem war wunderbar. Als hätte
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