Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
eine Zauberhand sie berührt. Ihr Spiel beflügelte auch uns. Nach einer Weile trat Necmi auf, der lange in den Kulissen hatte warten müssen. Lächelnd zeigte er mit der Hand eine Zwei an. Ich verstand, daß wir ein weiteres Tor geschossen hatten. In dem Moment spielte ich gerade mit Şebnem jene unvergeßliche Szene, die wir schon früher im Krankenhaus rezitiert hatten, die jene Brücke geschlagen, die ihre Rückkehr angekündigt hatte und die ich nun aus vielen Gründen nie mehr vergessen werde. Wie besonders war doch die Begeisterung, die ich erlebte. Ich war wieder der Holzhändler Bohor, sie war wieder Neveser, die mich in den letzten Augenblicken unseres Lebens an jene Möglichkeit erinnerte … Ich hatte wieder zu sagen, wir seien alt geworden, unser Leben sei zu Ende … Und sie sagte als Antwort darauf wieder, sie sei nicht alt geworden, ich solle nur für mich selbst sprechen … Danach kamen jene Worte: »Sind wir nicht ein bißchen spät dran, Bohor? … Was kann man denn in diesem Alter wohl noch machen …« Nur wir beide wußten, was diese Worte für uns eigentlich bedeuteten. Nur wir beide … Vielleicht spielten wir das Stück deshalb so glaubhaft … Sehr glaubhaft und mit echten Gefühlen … Was wir wußten, würde jahrelang in uns nachhallen. Jahrelang … Ich wollte nur zu sehr an diese Möglichkeit glauben … Diese Worte waren nun zu unseren Worten geworden … Mein Auftritt endete kurz nach diesem Dialog. Es ging mit Szenen zwischen Şeli und Şebnem weiter. Auch Necmi stand auf der Bühne. Ich war mit Niso und Yorgos in den Kulissen. Das Fußballspiel lief weiter. Niso sollte gleich als der Verrückte, der Säufer des Viertels, auf die Bühne hinaustreten, und alle würden sich wieder vor Lachen krümmen. Das Fußballspiel neigte sich dem Ende zu. Die normale Spielzeit war sogar schon vorbei. Sie spielten in der Verlängerung. Wir umarmten uns und warteten auf den Schlußpfiff. Wir waren dabei, Champion zu werden. Ja, der Moment kam. Die Sehnsucht von fünf Jahren sollte sich erfüllen. Wir gingen zum Gegenangriff über. Revivo schoß, der Ball prallte vom Torwart zurück, Revivo schoß erneut und erzielte ein weiteres Tor. Wir lagen mit 3:1 in Führung! Ich weiß nicht, ob unser Geschrei bis zur Bühne drang. Wir waren nun endlich Champion. Das Fußballspiel war zu Ende. Wir hatten sogar vergessen, daß Yorgos da war. Doch durch seine tadelnden Worte ließ er uns augenblicklich seine Anwesenheit spüren.
»Ihr seid übergeschnappt, übergeschnappt! … Dein Auftritt, Mensch, du Esel, los jetzt! …«
Mit diesen Worten zog er Niso, der mich gerade umarmte, schnell weg und schubste ihn auf die Bühne. Der aber purzelte wie in einer Komödie vor die Zuschauer hin und begann im Überschwang seiner Freude seine Betrunkenennummer mit:
»Fener ist am größten! … Fener Champion! …« 28
Er vermischte wieder alles, was da war. Wie viele von den Zuschauern merkten wohl, daß diese Worte nicht im Text standen? … Niemand, wahrscheinlich überhaupt niemand … Da es im Ablauf ja auch keine Unterbrechung gab … Die Lacher und der Beifall reichten, um zu zeigen, daß die Dinge nicht aus der Bahn geraten waren. Was der Verrückte des Viertels auch sagte, und sei es mit jenem bekannten Slogan, das paßte schon … Sowieso war er in den vorangegangenen Szenen noch verrückter gewesen … Im letzten Teil waren wir, wie es das Stück verlangte, alle zusammen auf der Bühne. Wir waren auf einem Hochzeitsfest und ließen uns gemeinsam fotografieren. Gemeinsam, um für immer beisammenzubleiben … Unserer Ansicht nach hatten wir wunderbar gespielt. Als gleich nach dem Ende des Stücks der Beifall losbrach, schien das zu zeigen, daß die Zuschauer derselben Meinung waren. Kurz gesagt schienen alle äußerst zufrieden zu sein. Es war wirklich sehr schwer, unser Gefühl zu beschreiben. Es war auch schwer zu beschreiben, was wir fühlten, als wir untergefaßt vor die Zuschauer traten, um uns zu verneigen, ebenso wie beim Aufbranden des Beifalls für Şebnem, als Yorgos sie nach vorn schob, und vor allem, als wir Şebnem deswegen weinen sahen … Soviel Freude und Zerschlagenheit erlebten wir gleichzeitig … Dann kamen die Späße in den Kulissen. Wir schminkten uns ab und tauschten die Kostüme gegen unsere Alltagskleidung, um uns auf einer anderen Bühne unter die Zuschauer zu mischen. Çela hatte zusammen mit Şeli einen kleinen Cocktailempfang vorbereitet. Wir waren natürlich die Helden des Abends.
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