Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Eine Weile blieben wir auch dort und versuchten, unser Erlebnis möglichst auszukosten …
Als wir wieder unter uns waren, wußten wir, es gab viele Gründe, jenen Abend so lange wie möglich auszudehnen. Wir hatten es geschafft, noch einmal geschafft. Wir hatten noch einmal gemeinsam spielen können. Und wir hatten außerdem die Meisterschaft erreicht, auf die wir so lange gewartet hatten. Diese Freude interessierte vielleicht nicht alle Mitglieder der ›Truppe‹, doch sie genügte, eine Welle des Glücks zu verbreiten. Abgesehen davon war jener Abend höchstwahrscheinlich der letzte, an dem wir unsere Gemeinschaft vollständig erleben konnten. Zumindest der letzte Abend in diesem Zeitabschnitt … Yorgos hatte sogar schon gesagt, er werde gleich am nächsten Morgen nach Athen zurückfliegen. Auf Şeli wartete ihr Leben in Izmir. Niso würde noch eine Weile bleiben, doch auch er wollte nun mehr bei seiner kranken Mutter und seinem stark alternden Vater sein. Ich mußte also auch ihn dort mit seinem Leben allein lassen. Die Kämpfe würden weitergehen … Sie würden weitergehen trotz der Verluste … Um der Leben willen, zu denen wir zurückkehrten und zurückkehren mußten … An jenem Abend sollten wir den Wert dessen erkennen, was wir erlebt hatten und erleben würden. Ich sagte, wir sollten wie richtige Schauspieler nach der ›Premiere‹ unbedingt irgendwo hingehen. Dieses ›Spiel‹ wurde weder ein zweites noch ein drittes Mal aufgeführt und auch keine weiteren Male … Dennoch konnten wir zum Essen ausgehen wie nach einer erfolgreichen ›Premiere‹. Şeli schlug vor, nach Beyoğlu in die Çiçek Pasajı, die Blumenpassage, zu gehen, Necmi dagegen verwies auf das schöne Wetter und schlug vor, weiter bis nach Nevizade 29 zu gehen … Der zweite Vorschlag fand die meiste Zustimmung. Es ging gegen zehn, doch für die Kneipen, die wir bevorzugten, war das nicht allzu spät. Zudem war es sonntags abends leichter möglich, einen Platz zu finden. Dieses Mal fuhren Şeli und Yorgos bei uns im Auto mit. Şebnem und Necmi hingegen nahmen zusammen mit Niso ein Taxi. Wir wollten uns am Eingang zum Parkplatz neben dem Atatürk Kültür Merkezi 30 wieder treffen. Von dort wollten wir zu Fuß über die Istiklal Caddesi nach Beyoğlu gehen. So machten wir es dann auch. Am Taksimplatz wimmelte es wieder von Menschen. Wir hatten auch dort unsere Erinnerungen. Und was für unvergeßliche Erinnerungen, was für unheilbare Wunden, was für Tode … Das Leben war dahingeflossen, und das, was dortgeblieben war, war vergangen … Doch in diesem Augenblick … Doch in diesem Augenblick konnten wir sagen, daß die Ereignisse – was soll ich es verheimlichen – einige von uns woandershin zogen … Trotz all unserer Sensibilität … Denn an dem Ort, wohin es uns zog, gab es sowieso eine andere Sensibilität in bezug auf das Leben … Um uns herum waren Menschenmassen, die die Meisterschaft von Fenerbahçe durch Autocorsos, Ovationen, Gehupe und Fahnenschwenken feierten. Der Taksimplatz war im Wortsinn zum Festplatz geworden. Konnte sich Niso angesichts dieser Bilder zurückhalten? … Natürlich nicht. Er marschierte neben den Autos her, die nur mit Mühe vorwärts kamen, und stimmte in das Beifallsgeschrei ein. Auch ich zögerte nicht, durch sein Vorpreschen ermutigt, mich zusammen mit Necmi zu beteiligen. Die anderen lachten über uns. Doch offen gesagt lachten sie wie Kinder. Dieses Lachen reizte uns, die Fans von Fener, noch mehr Späße zu machen. Dabei wußten wir nur zu gut, über wen und worüber wir eigentlich lachten …
Auf dem Weg durch die Istiklal Caddesi gab es ebenfalls viel, woran wir einander erinnern konnten. Es reichte, uns an die Kinos zu erinnern und unsere Geschichten, die mit diesen Kinos verbunden waren. So wanderten wir bis zum Galatasaray Lisesi und durch den ebenfalls mit Erinnerungen beladenen Balık Pazarı, den Fischmarkt, nach Nevizade. Aufs Geratewohl betraten wir eine der Kneipen. Tische wurden für uns zusammengeschoben, wir bestellten einige Vorspeisen und eine Platte mit gemischtem Grillfleisch. Wir waren nicht sehr hungrig, nur trinken wollten wir, soviel wir konnten … Außerdem hatten wir viel zu reden, immer noch viel. Über das ›Spiel‹, über die Vorkommnisse hinter den Kulissen, über Nisos Improvisationen … Danach kamen unsere Hoffnungen in bezug auf das Leben dran, an die wir uns bis zuletzt klammern wollten. Wir hoben das Glas auf Şebnem und Necmi. Und wir genierten uns
Weitere Kostenlose Bücher