Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
nickte sie mit der gleichen Niedergeschlagenheit. Dann ging ich hinaus. Die Nacht war finster, sehr finster … Finster und still … Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl … Kurz darauf erkannte ich, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Als ich ein paar Schritte in die Straße hinein getan hatte, näherten sich mir lautlos zwei Männer, sie hakten mich unter und begannen mit mir vorwärts zu marschieren. Sie waren sehr höflich und ruhig. Einer sagte: ›Bis hierher, Bruder Necmi, wir wollen doch keine Probleme, nicht wahr? Laß uns gehen.‹
    Ich widersprach nicht, nickte nur stumm. Ich verstand, daß es Beamte in Zivil waren, daß das Haus wie vermutet unter Beobachtung gestanden und sie schon lange im Hinterhalt gelauert hatten …
    ›Der Frau Mutter wird nichts passieren, wenn du dich nicht widersetzt‹, sagte der andere.
    Ihr Benehmen war vertrauenerweckend, ich war beruhigt durch ihre Worte, zudem war ich nicht in der Lage, mich zu widersetzen. Ich war mir sicher, sie würden meiner Mutter nichts antun. Auch, daß sie sehr wohl wußten, wen sie weswegen verhören würden … Ich machte also keine Probleme, so wie sie es verlangten. Etwas weiter vorn wartete ein Auto. Vor dem Einsteigen tasteten sie mich ab. Natürlich nahmen sie mir meine Waffe weg, wobei sie mit bemühter Höflichkeit sagten, daß ich diese jetzt ja nicht mehr brauchen würde … In ihrem Lächeln lag Siegesstimmung. Auch ich lächelte wortlos und wollte ihnen einen ersten Vorgeschmack meiner Schweigsamkeit geben. Nur so konnte ich in dem Augenblick das Gefühl der Niederlage ertragen. Doch es gab auch einen anderen Grund für mein Lächeln. Ich fühlte mich erleichtert, obwohl ich wußte, daß ich in kein Fünfsternehotel gebracht und dort nicht sehr gut behandelt werden würde. Aber wenigstens war ich vor den Qualen der Unsicherheit, ob ich verfolgt wurde, gerettet. Außerdem würde ich dort, wo wir hingingen, auf einige Genossen treffen, und wir konnten das Gefühl einer Schicksalsgemeinschaft erleben. Drinnen würde sich möglicherweise auch etwas machen lassen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht hatten wir die Schlacht verloren, doch wir konnten zeigen, daß unsere Widerstandskraft nicht erloschen war, indem wir aneinander festhielten, und das konnten wir zuerst einmal uns selbst beweisen. Wie hätten wir sonst an die Richtigkeit dessen glauben können, was wir erlebt hatten … Ich versuchte, all meinen Mut zusammenzunehmen, und wiederholte mir ständig, ich dürfe nicht weich werden. Ich durfte nicht weich werden. Ich durfte nicht weich werden … Das Schicksal vieler Menschen hing von mir ab. Das Schicksal meines Kampfes hing von mir ab. Was ich tat, würde auch meine Zukunft bestimmen, falls ich am Leben blieb … Falls ich am Leben blieb … Denn ich konnte schon ahnen, was mich erwartete. Im Wagen blieben wir stumm. Die Fahrt dauerte nicht lange. Gayrettepe war nicht weit entfernt, aber diese Stille gab mir wenigstens Gelegenheit zu überlegen, was mir passiert war und in Zukunft passieren würde. Dann kamen wir an den Ort, wo wir erwartet wurden. Die mich dort in Empfang nahmen, waren allerdings nicht ganz so höflich. Als ich in die Verhörzelle gebracht wurde, gaben sie mir meine neue Kleidung. Es waren Blutflecken darauf. Das tun sie, um einen zu entmutigen. Um den Widerstand zu brechen … Ich redete mir ein, daß ich auf dieses Spiel nicht eingehen dürfe. Den dreckig grinsenden Wächter, der mich mit ›Willkommen, Cowboy!‹ empfing, grinste ich sogar genauso an und sagte mit frechem Blick: ›Was, Cowboy? Konntest du dir nicht was Kreativeres einfallen lassen?‹ Natürlich verpaßte er mir sofort eine Ohrfeige.
    ›Hier gibt es keine Organisation. Drück dich ja korrekt aus, Brille!‹ reagierte er. Ich mußte wieder grinsen. Einerseits, um meinen Widerstand aufrechtzuerhalten, andererseits, weil ich mich in dem Moment an einen sehr komischen Vorfall erinnerte … Weißt du, woran ich mich erinnert habe? …«
    Seine Frage brachte mich unwillkürlich zum Schmunzeln. Natürlich erinnerte ich mich. Ich wollte nicht sagen, daß ich bei der Vorbereitung auf die Begegnung mit ihm an den Vorfall gedacht hatte. Doch es war schön, daß er sich erinnerte, wirklich bewegend. Und seine Aufforderung, mich an den Vorfall zu erinnern, war ebenfalls bewegend. Also hatten diese Momente sich auch in ihm irgendwie festgesetzt. Ich versuchte dieses Gefühl in das Beisammensein einzubringen. Ich hatte ihm sowieso seit einer Weile

Weitere Kostenlose Bücher