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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Lächeln auf seinem Gesicht aus … Doch dieses Mal war in seinem Lächeln etwas wie ein versteckter Stolz, den ich unmöglich übersehen konnte …
    »Sieben Jahre … Ich war zum Tode verurteilt …«
    Mich schauderte. Soviel hatte ich nicht erwartet. Wer weiß, was er für Erinnerungen hatte. Deshalb hatte ich das Bedürfnis, deutlich zu machen, ich sei ein wenig zu weit gegangen. Vielleicht sollten wir jetzt aufhören.
    »O je! … Erzähl nicht weiter, wenn du nicht willst …«
    Aus seinen Blicken las ich, daß er sprechen wollte. Ich wartete. In dem Moment wurde mir ein anderes Detail bewußt, das ich bisher nicht für wichtig gehalten hatte. Während er erzählte, faßte er oft mein Handgelenk, manchmal meinen Arm, manchmal auch meine Hand. Und dabei drückte er fest zu. Wollte er sicherstellen, daß das, was er erzählte, wirklich verstanden wurde? … Vielleicht versuchte er, sich mit seinen Erinnerungen und Erzählungen ans Leben zu klammern und sah in diesen Erlebnissen seinen größten Reichtum. Im Billardsalon hatte er meinen Arm genauso gepackt. Jetzt erst konnte ich diese Verbindung herstellen.
    »Dann kam ich raus … Sie glaubten, ich hätte meine Strafe genügend abgebüßt … Trotzdem dachten sie wohl, sie wären noch nicht ganz fertig mit mir … Ich hatte zwar noch nicht zu Ende studiert, dennoch schickten sie mich sofort zur Wehrdienstverwaltung … Obwohl sie meine Situation kannten … Den Gesetzen mußte Genüge getan werden. Nach dem, was ich erlebt hatte, hätte mir sogar der Wehrdienst wie Ferien erscheinen können. Doch alles war sehr klar. In Wirklichkeit hatten sie mir ein Geschenk gemacht … Ein Geschenk, das mir den Dienst ersparte …«
    Wieder zog er die Sonnenbrille leicht nach unten und zeigte sein geschlossenes Auge. Wieder schauderte es mich. Er lächelte mit seinem schmerzlichen Blick. Dann rückte er die Brille sorgfältig zurecht. Ich wartete. Er fuhr fort, dieses Mal mit Blick auf den vor ihm stehenden Teller.
    »Im Verhör auf der ›Werkbank‹ konnten sie mich nicht kleinkriegen. Dabei tat ich alles, um sie zu ärgern. Eines Tages kriegte ich diesen Faustschlag … Ich hatte die Brille auf …«
    Er mußte nicht fortfahren. Unwillkürlich entfuhr mir: »Gott strafe sie! …«
    Er lächelte weiter. Und hielt weiterhin meinen Arm fest … Dann ließ er los und schwenkte die Hand, als wollte er sagen: Laß nur, ist ja egal. Es war, als versuchte nicht ich ihn, sondern er mich zu beruhigen. Er fuhr fort, vor sich hin blickend.
    »Weißt du, was ich als erstes gemacht habe, als ich frei war. Ich bin losgelaufen. Wie ein Verrückter bin ich gerannt. Ich mußte mich unbedingt auslaufen. Rennen, so weit ich konnte … Wohin ich lief, warum ich lief, weiß ich nicht, ich bin einfach gelaufen … Es war Abend, ich lief, solange meine Kraft reichte …«
    Als ich das hörte, hatte ich das Bedürfnis, meinerseits seinen Arm zu halten, zu drücken. Er lächelte wieder. In dem Moment bemerkte ich, daß er manchmal unbegründet, manchmal zuviel lächelte. Daß auch seine Stimmungen unvermittelt wechselten. Mal war er äußerst lebhaft, fröhlich, mal war er teilnahmslos, traurig … In dem Moment wußte ich nicht, wo wir uns gerade befanden. Er schaute mich lange an. Ich schaute ihn ebenfalls lange an. Bei dem, was er dann sagte, hoffte ich zuerst, er wolle die Stimmung ein wenig aufhellen.
    »Bei dem Fußballspiel haben wir doch diesen Polizeiknüppel abgekriegt …«
    Nach dem, was ich gehört hatte, erschien mir jener Tag damals mit einemmal sehr weit entfernt zu sein. In jeder Hinsicht fern … Dennoch versuchte ich, eine Antwort zu geben.
    »Der hat schlimm weh getan, was?…«
    Er bestätigte mit Kopfnicken. Dieses Mal schien in seinem Lächeln etwas wie Zärtlichkeit zu liegen. Zärtlichkeit oder eine andere Art von Nachsicht, die wirkte, als käme sie aus seinen Erfahrungen. Zweifellos war diese Wahrnehmung meine eigene Wahrnehmung. Zumindest war es das, was ich in den Momenten sehen konnte. Denn was er erzählte, steigerte meine Beunruhigung.
    »Ein elektrischer Polizeiknüppel ist viel schmerzhafter … Zum einen wird dein Körper ganz schwarz, zum anderen fühlst du dich sehr erniedrigt …«
    Ich neigte den Kopf vor. Ich fühlte aber keine Scham, als der Schmerz so banalisiert wurde. Es tat mir nur leid. Ich war traurig, wütend, wollte protestieren, doch fand ich wieder nicht die richtigen Worte und keine Stimme. Er fuhr fort:
    »Sie können ihre Überlegenheit nicht

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