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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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taub, oder ich hätte alles Gefühl verloren haben müssen, aber trotz allem, was ich erlebt hatte, hatten sie so einen Menschen nicht aus mir machen können. Wer diese ›sie‹ auch immer sind, na ja … Ich wollte die Frau am anderen Ende des Telefons umarmen und unbedingt sehen … Ich konnte den Schmerz, sie durch diese Trennung völlig zu verlieren, nicht ein Leben lang tragen. Auch Ira unterstützte mich sehr. Mit Nachdruck sagte sie immer wieder, daß ich gehen müsse. Ich wehrte mich trotzdem. Ich wußte ja, daß die Begegnung zugleich eine Trennung bedeutete. Zwischen mir und Istanbul gab es eine gefühlsmäßige Mauer, mit der ich mich trotz aller Anstöße noch nicht auseinandergesetzt hatte. Ich sprach mit Ira über meine Befürchtungen, wollte sie soweit wie möglich mit ihr teilen. Sie war ja für mich nicht nur die Geliebte, sondern auch eine Freundin und Kampfgefährtin. Ich sprach auch mit anderen Genossen über meine Rückkehr. Das war wieder einmal eine Zeit der Kritik und Selbstkritik. Wir konnten inzwischen nicht anders, als das Leben so zu betrachten. In unseren Gesprächen wuchs der Entschluß zur Rückkehr. Zur selben Zeit ergab sich für Ira die Möglichkeit, beruflich nach Schweden zu gehen. War das bloßer Zufall? … Aus diesem angeblichen Zufall hätte ich einige Folgerungen ziehen können. Doch ich zog sie nicht, besser gesagt, ich konnte nicht. Deswegen war die Trennung überhaupt nicht leicht. Es tat noch mehr weh, mich von Sofia zu trennen. Ich hatte sie schon fast als meine Tochter angesehen. Seltsam, sehr seltsam, doch es schien mir, als zerstörte ich eine Familie. So sehr hatte ich mich an sie gewöhnt. Als ich Abschied von Sofia nahm …«
    Er stockte, konnte den Satz nicht beenden, weil seine Stimme wieder brach. Es war nicht schwer, seine Gefühle zu verstehen. Ich mußte ihm wieder zeigen, daß ich an seiner Seite, ihm sehr nahe war. Dieser Verpflichtung wollte ich mich nicht entziehen. Ich wollte mich auch dem Gefühl nicht entziehen. Was ich einzig für unsere Gemeinsamkeit tun konnte, war, seinen Satz zu vollenden …
    »… Du hast dich von einer Vaterschaft verabschiedet … Es ist nicht leicht zuzugeben, doch dies entspricht wohl den Tatsachen …«
    Er nickte. Es gab sowieso keinen Grund, das abzustreiten. Wir hatten selbst die Grundlage für unsere Schutzlosigkeit bereitet. Daß ich einen seiner Schwachpunkte berührt hatte, war mir bewußt und auch, daß wir diese Angelegenheit im Laufe der kommenden Zeit miteinander noch weiter durchleuchten mußten … Und daß dieses Erforschen ihn mit noch anderen Schwachstellen, Lücken konfrontieren würde … Doch ein Weglaufen gab es nicht. Waren wir nach der Zeit der Trennung nicht sowieso für eine solche Konfrontation zusammengetroffen? … Dennoch antwortete er mir nicht sofort. Besser gesagt, er gab seine Antwort indirekt. Er mußte seine Erzählung beenden. Um manche Facetten des Lebens zu berühren, mußte erst der richtige Zeitpunkt kommen …
    »Ich erlebte das Ende eines Traums. Ira sparte nicht mit Hilfe und Freundschaft, um meine Rückkehr zu ermöglichen. Sie half mir so sehr, daß ich plötzlich das Gefühl hatte, sie wünschte, daß ich ginge. Ich verdrängte diese Frage, um mich innerlich nicht zu zerfressen. Unser Zusammensein war für mich sehr wertvoll gewesen. Sie hatte einen entscheidenden Anteil daran gehabt, daß ich am Leben festhielt. Sie kennenzulernen war für mich ein großer Glücksfall gewesen. Ich wollte nicht beschmutzen, was mir dieses Glück beschert hatte … Mit diesen Gefühlen flog ich in die Heimat. Sie hatten mich trotz allem nicht ganz von meiner Heimat trennen können … Ich kehrte zu meiner Mutter und nach Istanbul zurück. Doch wie anders war die Lage als vor Jahren … Was sollte ich machen? … Ohne Arbeit ging es nicht. Aber wo sollte ich arbeiten? … Wer würde einem Mann wie mir Arbeit geben? … Dich wollte ich auch nicht belasten. Obwohl ich nicht wußte, wie es dir ging, ahnte ich doch, daß du immer noch einen Kampf ums Leben führtest. Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen. Vielleicht fühlte ich mich auch noch nicht bereit, dir gegenüberzutreten. Ich glaubte, daß für uns die Zeit noch nicht reif war. Die Stimmung meiner Mutter verbesserte sich langsam. Manchmal führten wir lange Gespräche. Doch auch in jener Zeit konnte ich ihr nicht von meinen Erlebnissen im Knast erzählen. So floß das Leben dahin. Nun gut, wir hatten eine Nachbarin mit Namen Zeynep.

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