Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
in meinem Leben eine Frau gebe. Nein, es gab keine. Auch ich versteckte die Wahrheit nicht … Ein Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. Es war ein schmerzliches Lächeln … Dieses Lächeln konnte vielerlei Bedeutung haben … Ich ging wieder nicht darauf ein … An jenem Tag war das genug für uns beide. Später setzten wir unsere Treffen fort. Wie gesagt, mit langen Abständen dazwischen. Manchmal rufe ich an, manchmal sie. Wir setzen uns zusammen und sprechen über das, was es so gibt. Wir sind weder Freunde noch Geliebte … Unsere eigentümliche Verbindung hat von beidem etwas. Man kann sie nicht benennen, aber wir können auch nicht auf sie verzichten. Wer weiß, vielleicht ist es so am besten für uns … Ich sehe ihre Tochter aufwachsen und sehe Nihal reifer werden. Natürlich werde auch ich immer reifer … Ich weiß ja nicht … Noch immer ist mir keine begegnet, die ich hätte heiraten wollen … Wir leben halt so dahin mit solchen Träumen …«
Ich konnte seine Situation gut nachfühlen … Wir alle versuchten, uns selbst zu finden und zu ertragen in unserem Leben, in das unsere Schwächen uns hineingezogen hatten. Wir alle konnten Gefangene unserer Ängste sein. Präferenzen wurden auf verschiedene Art erlebt und ausagiert. Er war an jenem Abend an jenem Tisch nicht der einzige, der überzeugt war, aus Angst manche Schritte in seinem Leben nicht getan zu haben. Er drückte wieder meine Hand. Wir hatten nach all den Jahren jene Brücke aufs neue gebaut. Er hatte eine traurige Geschichte erzählt. Sein Verzicht auf die Ehe im letzten Moment, der Wunsch Nihals, ihn wiederzusehen, ihre Begegnungen, ihrer beider Bedürfnis danach … Darin lag der Schmerz. Obwohl das alles nur zu bekannt war … Etwas ganz Alltägliches … Doch wer möchte schon zugeben, daß das, was er erlebt, nichts Besonderes ist? … Ich kannte diese Überzeugung ebenfalls und wie man sich deswegen ans Leben klammerte … Wer weiß, was der Grund für die Angst war …
Wir hatten gegessen und getrunken, hatten den Tisch abräumen lassen. Jetzt tranken wir Kaffee und einen Pfefferminzlikör. Ich reichte ihm eine Zigarre. Er wies sie zurück. Ich zündete mir eine an. Da gab er mir einen weiteren wichtigen Hinweis auf sein Leben. Als brächten seine Worte eine weitere Angst zur Sprache, die in Finsternis begraben war.
»In meiner Studienzeit habe ich viel geraucht. Im Knast habe ich ebenfalls geraucht, auch als ich wieder draußen war … Ich habe jahrelang geraucht. Seit einem Jahr rauche ich nicht mehr. Eines Nachts hatte ich schreckliche Atemnot, ich dachte, ich müsse sterben. Es ging mir sehr schlecht. Das will ich nicht noch einmal mitmachen, sagte ich mir, und gab das Rauchen auf.«
In dem Moment hatte ich einen Kloß im Hals … Es war etwas, das ich benennen, aber nicht laut aussprechen, ihm in so einer Situation nicht sagen konnte, etwas, das ich für mich behalten wollte … Vielleicht würde ich es ihm eines Tages sagen … Eines Tages … Um uns herum waren trotz der fortgeschrittenen Nachtstunde immer noch viele Leute. Das Leben lief für viele junge Menschen weiter und würde weiterlaufen … Ihnen käme das damals Vorgefallene vielleicht wie ein Märchen aus einer anderen Welt vor. Was war das doch für ein trauriger Bruch zwischen den Generationen, was für ein unüberwindbar scheinender Abstand. In diesem Augenblick wollte ich ihm die Frage stellen, die ich mir selbst auch schon so oft gestellt hatte. Auch ihm. In der Hoffnung, eine andere Antwort zu bekommen …
»Wurde dieser Kampf ganz umsonst geführt, Necmi? … Sind so viele Menschen umsonst gestorben, haben so viele umsonst einen derart hohen Preis gezahlt? …«
Lächelnd blickte er vor sich hin. Diese Antwort genügte mir nicht. Darum fuhr ich fort. Um mehr zu verstehen, um eine laute Äußerung zu hören.
»Auch die vor uns hatten einen Idealismus. Auch sie haben für ein gerechteres, ehrenvolleres Land gekämpft … Schau, es scheint doch, als ob wir alle unsere Werte verlören … Alle unsere Werte … ›Der entschlossene Kampf gegen den Faschismus‹… Sind wir derart kindlich, naiv gewesen? …«
Es wirkte, als müsse er sich bemühen, sein Lächeln nicht zu verlieren. Er antwortete, indem er vor sich hin sah. Wieder hörte ich die Enttäuschung in seiner Stimme.
»Dieser Staat hat es sogar in Kauf genommen, seine eigenen Kinder zu opfern, um es anderen recht zu machen. 8 Manchmal frage ich mich, wie diejenigen, die die große Macht in
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