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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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sagt er.
    Sie müssen nichts für ihn zahlen, sagt sie.
    Weiter betrachtet er die Hunde. Er stellt sich vor, wie sich das Fell anfühlt, der kleine bebende, geistlose Körper, der nur seine Aufgabe erfüllt. Und gleichzeitig überschlägt er, was das Hundefutter kosten würde, die Steuer, und fragt sich, ob es schwieriger für ihn wird, eine neue Wohnung zu finden, hat er einen Hund.
    Der kann Sie morgens begleiten beim Zeitungaustragen, sagt sie: wenn er größer ist.
    Ich kann nicht, sagt er.
    Sie öffnet die Wagentür und nimmt den Hund, der das Ohr des anderen im Maul hat, aus dem Korb und drückt ihn meinem Vater an die Brust. Das Tier erwacht. Mein Vater spürt den Herzschlag des Bündels aus scheinbar losen Knochen, seinen Atem im Brustkorb. Der Welpe beißt ihm in den Finger – die Zähne des kraftlosen Kiefers wie ein Kitzeln – und versucht, sich zu befreien. Mein Vater hält ihn fester und trägt ihn wie etwas unheimlich Kostbares, das sich jede Sekunde verflüchtigen könnte, an die Brust gedrückt über die Straße und ins Haus. Er merkt kaum, dass ihm Theresa folgt, dass sie die Tür hinter ihnen schließt, es ist ihm egal. Ob er den Weidenkorb noch habe, fragt er sich, dass das Hundchen dann ein Körbchen hätte, denkt er, dass er noch die alte rote Decke hat im Schrank irgendwo, mit der er den Korb auslegen könnte – einen Napf braucht es auch noch, denkt er und fragt sich, ob so ein kleiner Hund nicht vielleicht noch Milch bekomme und dass er gleich noch losmüsse, um ihm Futter zu kaufen.
    Ich hab Sie gestern in der Stadt gesehen, sagt Theresa, die hinter ihm in der Küche steht, ihren Hund in der linken Hand hält, sich bückt und ihn absetzt auf dem fleckigen PVC : wenn Sie noch kurz gewartet hätten, hätte ich Sie mitnehmen können.
    Ich musste noch wohin, sagt er.
    Theresa nickt nur und blickt auf ihren Fuß hinab, auf dem ihr Hund liegt, die Krallen seiner Hinterläufe kratzen über den Boden. Er kommt nicht voran.
    Ich hab mir Sorgen um Sie gemacht, sagt sie.
    Mein Vater hebt die Schultern: Das brauchen Sie nicht.
    Sie hätten sich sehen müssen, sagt sie.
    Theresa bläst den Rauch ihrer Zigarette zur Decke und sagt: Hagen ist kein Name für einen Hund.
    Er sieht aus wie ein Hagen, sagt mein Vater.
    Alle Kinder gehen hinter dem Wagen, sagt sie, nur Hagen, der wird getragen.
    Mein Vater blickt zu den Welpen, die in einer staubigen Ecke der Küche mit Wollmäusen zu spielen versuchen, die aber auseinanderfallen bei der ersten Berührung.
    Wie wollen Sie Ihren nennen? fragt er.
    Sie hebt die Schultern, legt den Kopf in den Nacken und bläst den Rauch an die Decke. Sie dreht sich nach den Hunden um, ihr Kleid ist hochgerutscht, er sieht ihr Knie und den Oberschenkel des übergeschlagenen Beines. Ihre Haut ist weiß, die Härchen darauf fast schwarz.
    Als Kind hatte mein Mann einen Hund, der hieß Bonzo, sagt sie: was halten Sie davon?
    Schön, sagt er.
    Mein Mann weiß noch nicht mal, dass ich vorhatte, einen Hund zu kaufen, sagt sie und sieht kurz zu den Tieren, bevor sie wieder meinen Vater anblickt: dann kommt ein wenig Leben in unsere Buden, sagt sie.
    Mein Sohn hat eine Allergie, sagt er.
    Kommt er oft vorbei? fragt sie.
    Täglich, sagt er.
    Wie alt ist Ihr Sohn? fragt sie.
    Achtundzwanzig, sagt er und geht den Hunden etwas Undefinierbares wegnehmen, das sie auf dem Kehrwisch gefunden haben und versuchen zu fressen.
    Kurz vor Morgengrauen fällt der Hund aus dem Bett. Mein Vater hört, wie er auf dem Teppichboden aufschlägt mit einem Winseln und aus dem Zimmer stolpert. Hagen, flüstert er, weil er Angst hat, der Hund geht nach unten zu den Stimmen, die er die halbe Nacht vernommen hat durch die Wand aus dämmrigem Schlaf, die ihn umgeben hat. Aber jetzt ist da niemand mehr, das Haus ist still und dunkel. Hagen hat sie verjagt. Mein Vater dreht sich auf den Rücken und starrt an die Decke, und einen Moment lang leuchtet seine Geschichte auf, als habe jemand ein Licht angeknipst über seiner Vergangenheit, und er ist erfüllt von seinem ganzen Leben, bevor er sich wiederfindet in seinem Bett, wo der Radiowecker anspringt und das Nachrichtensignal ertönt. Mein Vater lächelt, als er aufsteht; dass er die Struktur des Teppichbodens unter seinen Fußsohlen spüren kann, scheint ihm fremd und wie ein Wunder. Wie wollen wir den Hund nennen, Siggi? ruft er, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Als er vom Zeitungaustragen zurückkommt, findet er einen Hundehaufen vor der Küchentür und tunkt

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