Wo wir uns finden
Hagens Schnauze in den Kot, bevor er die Terrassentür öffnet und den Hund hinauswirft.
Bis nachher dein Bruder kommt, sagt er: bleibst du draußen.
Er achtet auf jedes Auto, das sich nähert, er glaubt, er könne Theresas Wagen am Motorengeräusch erkennen. Auf dem Küchentisch liegt der Brief vom Amt mit dem Versteigerungstermin. Die Öffentlichmachung der Versteigerung werde einen Tag später erfolgen, hat ihm der Rechtspfleger gesagt. Er denkt daran, wie er vor Monaten versucht hat, eine Kerze anzuzünden in der Kirche. Lange betrachtete er den Kasten vor der Figur der Jungfrau Maria, bis er begriff, dass er fünfzig Cent einwerfen muss in den Schlitz links und einen Knopf drücken und dass das aufleuchtende LED auf der Plastikkerze seine Bitte sein wird. So einfach. Die Gebete seiner Mutter sind ihm eingefallen, ihre gemeinsamen Wallfahrten nach Heroldsbach: ihre Zuversicht, weil die Muttergottes unter ihnen war und weil sie alle durch das Leid Erlösung finden würden. Jetzt klopft er mit dem Fingerknöchel gegen die Wand im Wohnzimmer, streicht mit der flachen Hand über die Tapete, spürt jeder Erhebung im Reliefmuster nach und erinnert sich an den Geruch des Klebers, an die Schwere der Bahnen, hatte er sie eingekleistert und zusammengelegt und war er mit ihnen auf die Leiter gestiegen; wie er nach dem Entfalten der Bahnen an der vorher kahlen Wand etwas für sich selbst geschaffen hatte – wieder spürt er in sich die alten Träume und Hoffnungen, das Vergehen der Zeit bis zu dem Punkt zurück, als er noch glaubte an eine Zukunft.
Theresa schüttelt den Kopf.
Schulden, sagt mein Vater und lacht: Siggi hat sie mir hinterlassen – wo er Gesellschafter war, die sind pleitegegangen. War ein krummes Ding von Anfang an.
Wie? fragt Theresa.
Er hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen.
Wo ist er? fragt sie.
Wieder hebt mein Vater die Schultern.
Aber Sie verlieren alles, sagt sie.
Das hab ich schon, sagt er.
Mein Mann könnte Ihr Haus kaufen, sagt sie.
Mein Vater lacht und steht auf. Sie fragt etwas, er aber hört nicht zu. Er sieht aus dem Fenster, auf die Stelle im Garten, wo früher mein Sandkasten und meine Schaukel standen, und erinnert sich an die Zeit, als meine Mutter schwanger war – das Haus noch eine halbe Ruine, und er baute einen Spielplatz für ein Kind, das diesen in zwei Jahren erst benutzen konnte. Und wie Grams und Klobbe ihm zusahen beim Bau.
Ich rede heute Abend mit meinem Mann, hört mein Vater Theresa sagen: er sucht immer Geldanlagen.
Leute wie die, denkt mein Vater und schweigt. Er sieht weiter aus dem Fenster, während sie ihre Zigarette ausdrückt, die Schachtel und das Feuerzeug einsteckt und Bonzo vom Boden hochhebt: Bis morgen, sagt und geht. Der Garten liegt im vollen Sonnenschein. Warum er nur die Schaukel mit Klettergerüst und den Sandkasten gebaut habe, denkt er, anstatt die morschen und aufgeworfenen, rot und schwarz lackierten Dielen im Haus zu machen, die Zimmertüren abzubeizen oder auszutauschen, die Löcher in den Wänden auszubessern; warum er nur diesen Scheiß da draußen gebaut habe, denkt er – auf dem ich dann sowieso nicht gespielt habe, weil mir das Gerüst zu steil und zu hoch war und es mir Holzsplitter in die Hände trieb. Mein Vater vergisst, den Hund in den Garten zu lassen. Die Pisse trocknet in den Wohnzimmerteppich ein, aber stinkt nicht. Er hört das Winseln des Hundes nicht, der hungrig durch die Küche stolpert.
Weil Donnerstag ist, kann er die Zeitungen wegen der beigelegten Werbeprospekte nur schwer falten und in die Schlitze stopfen, vereinzelt schlagen Hunde an in den Häusern, und mein Vater lässt den leeren Trolley zwischen zwei Mülltonnen stehen und geht durch Gefrieß zur Villa, in der Grams’ wohnten, und starrt auf das Klingelschild neben dem Tor – Schultheiß, liest er und denkt, vielleicht ist der Vater gestorben und sie hat neu geheiratet. Wie meine Mutter immer aus der Tür kam, holte er sie hier ab, sie war immer pünktlich. Dass sie: Hey, du, sagte zur Begrüßung und sich dann die Haare hinters Ohr strich, bevor sie zu ihm in den Wagen stieg. Und Grams, der oben hinter dem Fenster seines Zimmers stand, den Kopf schräg hielt, um an seinen langen Haaren vorbeisehen zu können, die ihm ins Gesicht hingen, und sie beobachtete. Mein Vater ballt die Fäuste in den Taschen, starrt zu dem Fenster und erwartet, dass er dort gleich auftaucht. Die Lamellen des Rollos bewegen sich nicht. Die Außenwände der Villa sind
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