Wo wir uns finden
neu verputzt und gestrichen, das helle Gelb lässt das Gebäude weniger mächtig aussehen als früher, Solarpaneele auf dem Dach, die Doppelgarage rechts mit einem hölzernen Tor. Dass die Tanne im Vorgarten höchstens zwei Meter hoch war damals, denkt er und versucht zu schätzen, wie viele Meter sie jetzt misst. Er sieht sich nochmals um, spuckt seinen Auswurf vor das Gartentor und geht.
Im Batschkaweg kann er den Namen Klobedanz nicht mehr finden. Die Klingelschilder der Sozialbauten am Hang sind mit mehreren Namen beklebt – ausgebleichte, ungelenke Schrift auf kleinen Papieretiketten. Er stellt sich vor, wie er nach der Versteigerung in die Wohnung in diesem Block zieht, in der Klobbe mit seiner Familie gewohnt hat. Wie er seine Wäsche im Keller waschen und im Hof aufhängen wird, wie er das Getrampel der Kinder, den Fernseher des Arbeitslosen hören wird in der kleinen Wohnung und nachts aufwachen und nicht wissen wird, wo er ist. Der Geruch nach gekochtem Kohl im Treppenhaus, Schwaden von Grillqualm, der vom Nachbarbalkon ins Fenster zieht, vom Fett, das vom Lammfleisch in die Glut tropft. Dass er bald so tief gesunken sein wird wie Klobbe, der immer nach Sperma und Urin gerochen hat wie ein räudiger Rüde. Er fragt sich, ob er nicht damals schon sein Haus verloren hat, bevor er es überhaupt richtig besaß, während er nach Hause geht, wo er, am Küchentisch sitzend, den restlichen Tag auf Theresa wartet, die nicht kommt; und in der Abenddämmerung dem hektischen Flug der Fledermäuse zusieht und der Hund in das Rosenbeet scheißt. Nach Einbruch der Nacht sieht er jemanden durch den Garten gehen. Wo sich früher mein Sandkasten befand, bleibt die Figur stehen und dreht sich dem Haus zu, öffnet den Hosenstall und pinkelt in weitem Strahl auf den Boden.
Lassiter hilft einer kleinen Goldgräbersiedlung im Kampf gegen einen ausbeuterischen Industriellen, sie sind auf eine Goldader gestoßen, und der Industrielle will ihnen die Schürfrechte abpressen. Sie würden alles verlieren, wäre da nicht Lassiter, der die Handlanger erschießt, den Industriellen verjagt und mit der schönen Tochter des Obersten der Siedlung ins Bett geht. Mein Vater klappt das Heft zu und legt es zurück in den Schrank, um es irgendwann noch einmal zu lesen. Er betrachtet die Stapel, die alle Fächer des Schranks ausfüllen, die Hunderte sich ständig gleichenden Geschichten zwischen den bunten Umschlägen auf grobem Papier.
In der Nacht hört mein Vater eine Frau und einen Mann vor dem Haus reden. Er liegt im Bett, geschlafen hat er nicht, nur zur Decke gestarrt, den warmen Körper des Hundes gestreichelt und versucht, die Bilder von Obdachlosen aus dem Kopf zu bekommen, während er sich fragt, wo man am besten schlafen könne im Freien; er dachte an den Spielplatz in der Georg-Elser-Anlage, an den Schuppen hinter dem Sportplatz am Fischerweg. Der Mann spricht lauter als die Frau und sagt: Wie kommst du auf so was?
Dann schlägt eine Autotür zu, und der Wagen fährt davon. Theresa aber ist nicht eingestiegen. Sie betrachtet das Haus meines Vaters, starrt hoch zum Schlafzimmerfenster, hinter dem er in seinem durchgeschwitzten Schlafanzug liegt. Der Wind weht das Kleid um ihren Körper, mit ihren schlanken Fingern streicht sie sich die Haare hinter die Ohren, sie senkt den Blick und schlägt die Augen auf, der Pigmentfleck auf ihrer Iris schwarz in der Dunkelheit, leuchtend weiß ihre großen, geraden Zähne, wie sie den Mund zu einem Seufzen öffnet und sich die Lippen befeuchtet mit der Zunge. Sie könnte reinkommen, aber sie rührt sich nicht, und es bleiben nur die heimlichen Geräusche der Nacht, die sich hinter der Stille verbergen. Scheißdreck, sagt mein Vater und dreht sich zur Seite. Vielleicht verflucht er mich in dieser Nacht zum ersten Mal, als er vor dem Einschlafen die Hoffnung fahren lässt und seine Hände zu Fäusten ballt.
Vereinzelt bedeckt Laub die feuchte Straße, glänzt im Licht der Laternen, geht er mit den Zeitungen durch den Ort. Der Chor der Vögel wird dünner, Morgen um Morgen. Er hat im Telefonbuch einen Eintrag auf Karl und Susanne Klobedanz gefunden. Sie wohnen in Rottensol. Zu Fuß zwei Stunden entfernt. Er nimmt sich jeden Morgen vor, am Nachmittag zu ihm zu gehen, nachzusehen, wie er lebt. Nach dem Zeitungaustragen aber muss er sich um eine Wohnung kümmern – die Mittage vergehen vor dem Zettel mit den Nummern von Vermietern, die er sich notiert hat, aber nie anruft, am Nachmittag muss er auf
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