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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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spuckte aus.
    Über drei Stunden stand er an der Straßenecke mit Blick auf das Haus und wartete. Er überlegte mehrmals, zurückzugehen und durch das Fenster ins Innere zu sehen, traute sich aber nicht. Er wurde beobachtet, blickte zu dem Schatten hinter der Gardine des Fensters am Haus gegenüber und bleckte die Zähne, der Schatten verschwand, er lächelte und sah Dix’ Wagen die Straße herabkommen und halten.
    Grams kam kurze Zeit danach aus dem Haus, er betrachtete die zahllosen Kippenstummel auf dem Boden zu Karls Füßen.
    Es ist besser, sagte Grams: wenn du nicht mehr mitkommst, bis es Anna besser geht.
    Was hat sie denn? fragte Karl.
    Grams hob die Schultern: Glaub mir, ist besser so, sagte er, während es zu nieseln begann, das gelbe Licht der Straßenlaternen brach sich auf dem feuchten Asphalt. Im Donnerhügel wurden sie zum Kickern herausgefordert, Grams aber lehnte mit einem Kopfschütteln ab.
    Sie ist auch selber schuld, sagte er: ich hab ihr damals angeboten, mit ihr nach Holland zu fahren.
    Was wolltest du mit ihr in Holland? fragte Karl.
    Ja, was wohl? sagte Grams: abtreiben.
    Und sie wollte nicht, sagte Karl.
    Natürlich nicht, sagte Grams.
    Die dumme Kuh, dachte Karl und blieb am Tresen sitzen, nachdem sich Grams verabschiedet hatte. Er bereute, Dix’ Haus nicht einfach angezündet zu haben. Das bisschen Reifenaufschlitzen, dachte er und bestellte sich mit seinem letzten Geld ein Bier. Außer Wichshefte verleihen hab ich nichts zu bieten, dachte er und trank.
    Er verbrachte jetzt die Nachmittage allein in seinem Keller, hörte die Kassetten, die Grams ihm überspielt hatte – neue kamen nicht dazu. Dabei fragte er sich, was Grams und Anna jetzt taten, stellte sich vor, wie sie fickten: Er nahm sie von hinten auf allen vieren, um nicht auf ihrem dicken Bauch mit dem nach außen gestülpten Nabel zu liegen, ihre fetten Brüste hielt er in Händen und massierte sie, Schweiß sammelte sich in der Kuhle ihrer Wirbelsäule, und Grams leckte die Flüssigkeit mit der Zunge auf, im Fruchtwasser trieb der Embryo hin und her von den Stößen; dass sie danach Arm in Arm auf dem Sofa lagen und über ihn und Dix lachten und Grams sich anzog und auf der Terrasse eine rauchte; und er war so blöd und hatte geglaubt, sie sei wirklich krank.
    Nach einer Woche verließ er um halb fünf seinen Keller und wartete an der Ecke bei Dix’ Haus, der aber nicht um fünf heimkehrte wie zuvor. Im Wohnzimmer brannte Licht, jemand warf einen Schatten, dann wurden die Vorhänge zugezogen.
    In der Nacht kehrte Karl zurück, beobachtete das Haus von seiner Ecke aus. Der Alfa stand immer noch nicht vor der Tür. Nur im Flur in der oberen Etage brannte Licht. Er nahm keine Bewegungen wahr im Haus. Er blieb eine Stunde, betrachtete die beleuchtete Holzdecke des Flurs, die von der Lampe geworfenen Lichtkreise auf den Paneelen.
    Die Morawetz informierte die Klasse, dass Grams für zwei Wochen entschuldigt fehle. Karl hatte am Abend zuvor bei ihm angerufen, dass er nicht da sei, hatte das neue Kindermädchen gesagt, deren Schwäbisch er kaum verstanden und deren Stimme alt geklungen hatte. Karl schwänzte den Nachmittagsunterricht und versteckte sich im Gebüsch unterhalb von Grams’ Zimmer. Nichts regte sich. Als es Abend wurde, blieb das Zimmer dunkel. Er fror und fragte sich, ob Grams bei Anna eingezogen sei. Langsam ging er durch die Straßen zum Haus von Anna und Dix, in der Hoffnung, zufällig auf ihn zu treffen. Und in der Nacht duckte er sich hinter die Mülltonnen, die für die Müllabfuhr am nächsten Morgen am Straßenrand standen, und starrte zum gekippten Schlafzimmerfenster hoch, hinter dem sich die Gardine bewegte, als atme das Haus in gleichmäßigen Zügen. Er stellte sich vor, wie Dix am Rand des großen, den Raum fast füllenden Ehebetts lag, seine geöffneten Augen weiß in der Dunkelheit, seinen von der Arbeit in der Gießerei schweren und schmerzenden Körper verfluchend in seiner Schlaflosigkeit der blauen Stunde; und Anna, die sich schlafend stellte und hoffte, dass ihr Mann bald einschlief und ihr Ruhe gab für das Ende einer Nacht, auf die nichts folgte. Karl dachte an die Schule, dass er müde sein würde, und fragte sich, wo Dix’ Wagen sei.
    Karl kam jede Nacht und stieg über den Zaun, ging hinter das Haus in den Garten, setzte sich auf die Schaukel, rauchte und beobachtete im Mondlicht die Fenster. Manchmal stapelte er das Holz für das Klettergerüst an einer anderen Stelle neu oder verschob die

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