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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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ein Rauschen in seinen Ohren, nachdem die Explosionen der Starenschrecke im Tal verklungen waren, die in der Enge der steinernen Hänge laut wie Granaten gewesen waren. Das Feuer war aus, irgendein Klumpen brannte vor der Bank, qualmte und stank, vereinzelt lagen Holzscheite verstreut, von denen Rauch aufstieg. Die Glut musste meterweit geschleudert worden sein, wie Aussatz wirkten die verstreuten Löcher im Schnee. Leise pfiff der Wind im Schornstein der Hütte.
    Ich brauch jetzt eine Kippe, hörte er Grams’ Stimme. Karl hob den Kopf und sah ihn auf dem Boden sitzen, ohne Jacke. Sein Pullover hatte an der Brust ein großes Loch. Er stand auf und ging an Karl vorbei zur Feuerstelle, begann auf die brennenden, zu einem Haufen gebackenen Rucksäcke einzutreten und schleifte sie dann in den Schnee. Die Schlafsäcke, die Zigaretten, die letzte Schnapsflasche. Sie betrachteten den verkohlten Klumpen, der den ihn umgebenden Schnee geschmolzen hatte.
    Und jetzt? fragte Karl. Grams wankte leicht: Mir ist kalt, sagte er: mein Scheißkittel.
    Er hob die Daunenjacke auf, die zur Hälfte verschmort war: Schön warm noch, sagte er, versuchte den Fetzen anzuziehen und lachte: plötzlich brannte das Ding, ich hab sie gerade noch ausgezogen bekommen.
    Er sah an sich herab, als probiere er die Jacke in einem Geschäft an.
    Die waren auch laut, die Dinger, sagte er.
    Starenschreck eben, sagte Karl.
    Sie folgten ihren gefrorenen Spuren aus dem Tal. Karl ging voraus, damit Grams im Windschatten bleiben konnte. Es war tiefste Nacht, er hörte keine Tiere, nichts floh, alles war an seinem Platz. Das Licht des Mondes, reflektiert vom Schnee in der Ebene, schwarz die Stämme der Kiefern, Wind wirbelte Eiskristalle durch die Luft.
    Warum bist du nicht sauer auf mich? fragte Grams.
    Warum sollte ich? sagte Karl.
    Wegen dem hier vielleicht? sagte Grams.
    Karl antwortete nicht.
    Bist du dumm oder schwul? fragte Grams, der stehen geblieben sein musste, das Knirschen seiner Schritte im Schnee war nicht mehr zu hören.
    Willst du mich ficken? fragte Grams.
    Karl ging weiter. Ein Schneeball traf ihn im Nacken. Eiswasser lief ihm in den Kragen und den Rücken herunter. Dem nächsten Schneeball konnte er ausweichen, er streifte sein Bein.
    Du Schwuchtel, schrie Grams und lachte.
    Ich bin keine Schwuchtel, sagte Karl.
    Warum willst du mich dann ficken? fragte Grams.
    Karl betrachtete Grams, der als Umriss vor dem sternenklaren Himmel stand. Wie an seinem ersten Tag, als die Morawetz ihn der Klasse vorgestellt hatte, hielt er den Kopf schräg, um an seinen Haaren vorbeisehen zu können. Karl hatte sich damals in den Nacken gefasst, die Strähnen seiner Matte in den Fingern gedreht und sich gefragt, was sein Vater sagen würde, ließe er sich auch die Haare an der Stirn und an den Seiten lang wachsen.
    Grams bückte sich, formte einen Schneeball und warf, aber verfehlte ihn weit und stolperte einen Schritt zurück.
    Komm jetzt, sagte Karl: mir ist kalt.
    Gib zu, dass du mich liebst, sagte Grams und warf den nächsten Schneeball, der hinter Karl in der Nacht mit einem sanften Geräusch zerplatzte.
    Gib zu, dass du mich liebst, jetzt, sagte Grams.
    Karl drehte sich um und ging. Einen Schneeball hörte er rechts von sich aufkommen, dann nur noch die eigenen Schritte, das Brechen durch die vereiste Kruste unter dem Neuschnee. Auch als er vom Waldrand auf die Ausfallstraße trat, blickte er nicht zurück. Er ging weiter, steuerte auf den Glanz der Straßenbeleuchtung hinter dem letzten Hügel vor Gefrieß zu, dabei hielt er immer wieder die Luft an, aber die Nacht blieb still, keine Schritte näherten sich. Im Ort waren die Straßen mit rotem und weißem Böllerpapier bedeckt, die wenigen noch erleuchteten Fenster ließ er hinter sich, bis er endlich zu Hause die Tür aufschloss. Das Schnarchen seines Vaters in der stillen Wohnung, die bunten Luftschlangen und zerdrückten Partyhüte auf der Couch, entfernt der Geruch nach altem Fett vom Fondue des vergangenen Abends. Seine Finger begannen zu schmerzen, langsam löste sich die Starre aus seinem Gesicht. Löffel, Kerze und Wasserschale vom Bleigießen standen noch auf dem Tisch. Karl rauchte eine HB aus der Packung seines Vaters und schmolz sich ein Stück Blei, das am ehesten einem Baum ähnelte, nachdem er es ausgegossen hatte. Auf der Anleitung stand, der Baum bedeute: »Deine Fähigkeiten werden wachsen«, dass es aber auch ein Regenschirm sein könne, dachte Karl, dann bedeutete es: »Vermeide

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