Wo wir uns finden
rote Farbe aufgesprungen war, hatten die Dielen Stockflecken, die auch an den Decken und Wänden ihre braunen Muster zeichneten, kurz sah Karl darin ein Gesicht, wie er es in der Glut gesehen hatte an Silvester. Auch die Türen und Türrahmen waren schwarz und rot lackiert. Ob sie was dafür bekämen, dass sie hier wohnten, dachte Karl. Im Garten lagerten Holz und Baustoffe unter Planen. Nur eine quadratische Stelle war sauber, aufgefüllt mit feinem Sand, eingefasst von gelb gestrichenen Holzbalken.
Da baut er eine Schaukel und ein Klettergerüst, einen Sandkasten, sagte Grams und lachte: und schau dir die Bude an.
Karl hob die Schultern und ließ sie wieder fallen: So ein Idiot.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkamen, kratzte sich Anna an ihrem Ausschlag, ein Geräusch wie Fingernägel auf Schmirgelpapier. Der Pigmentfleck in ihrer Iris schien größer geworden zu sein, vielleicht trat er nur deutlicher hervor, weil ihre Haut bleich und ihr Gesicht, trotz der Fülle ihres Körpers, ausgemergelt wirkte, ihre Wangen waren eingefallen, die Jochbeine traten hervor.
Ich hätte nicht so früh mit dem Arbeiten aufhören sollen, sagte sie zur Decke hinauf: und im Fernsehen läuft auch nix.
Dann komm wieder zu uns, sagte Grams.
Ob sie denn noch Cello spiele, fragte Karl, und Anna antwortete, dass sie nicht genau wisse, wo das Instrument überhaupt sei.
Sie saßen den stillen, langen Nachmittag bei Anna, gingen alle halbe Stunde eine rauchen auf der Terrasse, der verchromte Aschbecher auf dem Fenstersims füllte sich und quoll über. Sie hörten keine Musik, stellten den Fernseher nicht an, Anna kratzte an ihrem Ausschlag, und Grams tropfte ihr Kamillentee in ihr entzündetes Auge. Dass er sich die Hände waschen solle, sagte sie: du steckst dich sonst an.
Grams wusch sich nicht die Hände.
Als Dix von der Arbeit kam, pfiff er eine Melodie und stieg die Treppen nach oben.
Komm, wir verschwinden, sagte Karl.
Wieso? fragte Grams.
Die wollen doch bestimmt zu Abend essen, sagte er.
Im Blaumann kam Dix zurück und fragte, ob sie geblieben seien, um ihm zu helfen.
Sie seien hier, um Anna zu helfen, sagte Grams.
Brecht euch keinen ab, sagte Dix und öffnete die Terrassentür: bleibt ihr zum Abendessen? fragte er: ich hab Maultaschen von meiner Mutter mitgebracht und Kartoffelsalat.
Wir haben noch was vor, sagte Grams.
Wir sehen uns, sagte Dix und ging nach draußen.
Anna war eingeschlafen und schnarchte leicht. Grams hob den Latz ihrer Hose an und blickte ihr in den Ausschnitt. Er biss sich auf die Unterlippe.
Mann, Mann, sagte er und stand auf: ich kann schon verstehen, warum die Türken ihre Frauen ständig schwanger halten.
Grams drückte ein zweites und ein drittes Mal auf den Klingelknopf, aber Anna öffnete nicht. Karl stand hinter ihm am Fuß der kurzen Treppe, ungeduldig tippte Grams mit der Schuhsohle auf den Boden.
Gibt’s doch nicht, sagte er und lief zum Wohnzimmerfenster, schirmte die Augen mit den Händen ab und schaute hinein. Dann klopfte er an die Scheibe.
Warum steht sie denn nicht auf? sagte er und ging ums Haus. Karl blieb zurück, hoffte, dass Anna nicht da sei, dass sie woandershin gingen, nicht wieder in dem dunklen Zimmer säßen den Rest des Tages. Dann öffnete Grams von innen die Tür. Er schüttelte den Kopf, sprach aber nicht. Anna lag auf dem Sofa, die Augen halb geschlossen, blickte sie Karl an, als kenne sie ihn nicht.
Lasst mich bitte allein, sagte sie leise und zog sich die Decke über den Kopf.
Geh schon mal eine rauchen, sagte Grams und gab ihm seinen Tabak. Neben dem Sandkasten im Garten waren Fundamente für das Klettergerüst und die Schaukel einbetoniert, aus denen stählerne Winkel ragten.
Nicht schlecht, dachte Karl. Er blickte durch die Scheibe der Terrassentür ins Haus. Grams strich Anna über die Stirn und redete auf sie ein, sie schüttelte den Kopf wie ein trotziges Kind. Grams winkte ab und stand auf. Nachdem er zu Karl auf die Terrasse getreten war, sagte er: Vielleicht gehst du besser.
Wie? sagte Karl.
Wir sehen uns dann morgen, sagte Grams.
Hab ich was gemacht? fragte er.
Nein, sagte Grams.
Will sie mich nicht hierhaben? fragte Karl.
Ich erklär es dir ein andermal, sagte Grams.
Wir könnten einen trinken heut Abend, sagte Karl.
Ja, sagte Grams nach einer Pause: ich ruf dich an.
Ich hol dich hier ab, sagte Karl.
Auf dem Weg nach draußen schmierte er einen Popel an die Türklinke, er verabschiedete sich nicht von Anna, warf die Tür ins Schloss und
Weitere Kostenlose Bücher