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Woche voller Samstage

Woche voller Samstage

Titel: Woche voller Samstage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Maar
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Stimme. »Weißt du nicht, wie Geld aussieht?«
    »Jetzt reicht’s mir aber«, schimpfte der Schaffner los. »Zahlst du nun oder nicht?«
    Statt einer Antwort hörte Herr Taschenbier ein Klirren. Dann stellte die hohe Stimme zufrieden fest:
    »Schmeckt gut. Ist aus Metall.«
    »Jetzt hat mir doch der unverschämte Bengel mein Wechselgeld aufgefressen«, schrie gleich darauf der Schaffner. »Kommst du her, kommst du sofort her!«
    Für Herrn Taschenbier gab es jetzt keinen Zweifel mehr. Er drängte sich nach hinten durch. In diesem Augenblick hielt die Straßenbahn. Jemand wurde durch den Ruck nach vorn geschleudert, fiel gegen Herrn Taschenbiers Knie, hielt sich daran fest und schrie begeistert:
    »Papa! Da bist du ja, Papa!«
    Es war das Sams.
    »Schnell raus hier!«, rief Herr Taschenbier, sprang aus der Straßenbahn und zog das Sams hinter sich her. Ehe der Schaffner etwas unternehmen konnte, hatten sich die Türen automatisch geschlossen, und die Straßenbahn fuhr weiter.
    »Da haben wir aber Glück gehabt, Papa«, stellte das Sams fest.
    »Wenn du so weitermachst, landen wir beide noch im Gefängnis«, schimpfte Herr Taschenbier. »Wieso fährst du überhaupt mit der Straßenbahn?«
    »Ich wollte zu dir ins Büro«, sagte das Sams kleinlaut.
    »Das habe ich dir doch verboten. Du gehst jetzt wieder nach Hause!«
    »Zu der ollen Rotkohl?«
    »Na ja, dann meinetwegen auf den Spielplatz.«
    »Mag aber nicht.«
    »Ich gehe allein ins Büro, und dabei bleibt es. Was du machst, ist mir egal«, bestimmte Herr Taschenbier, ließ das Sams stehen und ging.
    An der nächsten Straßenkreuzung drehte er sich um und schaute zurück. Das Sams folgte ihm nicht, sondern stand noch immer an der Stelle, wo er es zurückgelassen hatte. Zufrieden eilte er ins Büro.
    Die Bürotür war noch immer abgeschlossen. Wie am Vortag ging Herr Taschenbier quer über den Hof zum Wohnhaus von Herrn Oberstein und trat ein, als auf sein Klopfen niemand »Herein« rief.
    Der Chef saß erschöpft auf einem Tellerstapel und starrte vor sich hin. Inzwischen standen die Tassen auf dem Boden, die Bücher lagen in der Lampe, der Tisch stand auf dem Schreibtisch, das Bettzeug hing über dem Schrank, und die Stühle standen auf dem Sofa.
    »Haben Sie den Schlüssel gefunden?«, fragte Herr Taschenbier.
    »Nein«, sagte Herr Oberstein dumpf. »Es nützt alles nichts. Ich muss die Bürotür aufbrechen lassen. Ich habe eine Krawattennadel gefunden, die ich schon vierzehn Jahre vermisst habe, und eine noch nicht gelesene Ansichtspostkarte aus dem Jahre 1931, die eine wichtige Mitteilung enthält. Außerdem acht Münzen, drei Spielkarten und eine Schreibmaschine. Aber von dem Schlüssel fehlt jede Spur! Wo pflegen Sie Ihre Schlüssel zu verstecken?«
    »Ich?«, fragte Herr Taschenbier erstaunt. »Ich verstecke meinen Schlüssel nie. Ich stecke ihn in die Hosentasche.«
    »In die Hosentasche«, sagte Herr Oberstein verächtlich. »Sie haben eben keine Phantasie!« Dabei steckte er gedankenlos die Hände in die Hosentaschen.
    Gleich darauf sprang er auf, als hätte ihn eine Wespe gestochen, und schrie: »Da ist ja der Duckmäuser von einem Schlüssel!«, während er den Schreibtischschlüssel aus der Hosentasche zog. »Warum haben Sie das nicht schon gestern gesagt?«, fragte er, während er den Schreibtisch aufschloss, dann den Schrank öffnete und schließlich den Schlüssel aus dem Stiefel schüttelte.
    »An die Arbeit!«, rief er, als er den Schlüssel in der Hand hatte, rannte über den Hof und stürmte ins Büro. Herr Taschenbier eilte hinterdrein.
    Im Büro standen ein großer Eichenholzschreibtisch mit einem Ledersessel und ein kleines Tischchen mit einem Holzstuhl. Auf den Ledersessel setzte sich der Chef, auf den Holzstuhl Herr Taschenbier. Dann begannen sie mit der Arbeit.
    Herr Oberstein schrieb Rechnungen aus, Herr Taschenbier musste nachrechnen, ob alles stimmte, was der Chef zusammengezählt hatte. Dann musste er die Rechnung zusammenfalten und in einen Briefumschlag stecken.

    Herr Oberstein hatte für seine Arbeit eine Rechenmaschine, Herr Taschenbier musste alles im Kopf rechnen. Damit Herr Taschenbier nicht einfach sagen konnte: »Das Ergebnis stimmt«, ohne richtig nachgerechnet zu haben, schrieb der Chef alle Ergebnisse auf ein gesondertes Blatt und trug sie erst in die Rechnung ein, wenn Herr Taschenbier das Gleiche herausbekommen hatte wie er. Natürlich rechnete Herr Oberstein mit der Maschine viel schneller als Herr Taschenbier im Kopf.

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