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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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sie hatte schwarzeLöckchen wie aufgeschäumte Sahne, oder die Krone eines Wiedehopfs, oder eine schwarze Locke, die wie eine Sechs in ihre Stirn hing. Auch ihre Kleidung, in die sie ihren geschmeidigen Körper steckte, verführte die Passanten zu einer Pause mit Milch und Brötchen. Sie kamen, um Schnüre zu sehen, Pailletten, Flicken, Samt, Röhrenkleider, denen es an Stoff fehlte, winzige Cloche-Röckchen, raschelnde Bänder, und Ausblicke auf ihren Bauch, wenn sie die Arme reckte. Und sie hörten sich ihre kernigen Sprüche und Schlagworte an, was ist mit Ihnen, dieser Käse? Eine einmalige Ziege hat ihre Milch dafür hergegeben, und diese Pasta? Eine bessere gibt es nicht. Oliven in dieser Größe? Im Supermarkt macht man drei aus so einer großen. Wenn Sie geräucherten Fisch wollen, gehen Sie zum Supermarkt, dort kriegen Sie auch den Magenkrebs zum halben Preis, bei uns bezahlen Sie die Sardinen und bekommen dazu eine Portion Omega 3 umsonst. Hören Sie doch auf mit Vollkornbrot, als ob es Brot gäbe, das nicht aus Korn gemacht würde. Wenn nicht aus Korn, etwa aus Steinen?
    Sie hätte eine Ladentheke am Pol aufstellen und mit Eis spekulieren können und wäre dabei reich geworden, die Eskimos hätten bei ihr Schlange gestanden.
    Der Strom der Kunden war lebhaft, wir schlossen später, abends sammelten sich auf dem Platz vor dem Laden Käufer von Bier und Zigaretten. Die Finger mit den schwarz gelackten Nägeln tanzten vom Morgen bis zum Abend über die Tasten der Kasse. Sie war ständig beschäftigt, während ich mich um die Bestellungen, die Retournierungen und die Rechnungen kümmerte. Manchmal rief ich sie zur Ordnung und wies sie auf die Knappheit des Saums oder die Tiefe ihres Ausschnitts hin, ich sagte ihr, wenn du dich bückst, sieht man deinen Bauchnabel, und wenn duKeksschachteln von oben herunterholst, sieht man deine Unterhosen, ich verbot ihr, Kaugummi zu kauen, wenn sie Kunden bediente, und ich schimpfte, als sie einen Milchlieferanten einen Hurensohn nannte. Sie machte den Laden morgens auf und schloss abends die Kasse und verriegelte die Tür. Manchmal schlief sie nachts im Laden, sie hatte im Lager eine Matratze, ein Kissen und eine Decke, ebenso einen roten Koffer mit einigen Unterhosen und Kleidern, die nichts wogen. Ich übersah den Alkohol, den sie auf Kosten des Hauses trank, und die Zigaretten, die sie sich nahm. Solange sie nicht übertrieb, ließ ich ihr diese kleinen Freuden.
    Eines Morgens kam ein orthodoxer junger Mann mit einer glatten, weißen Stirn in den Laden, mit einem weichen Bart und traurigen Augen. Er senkte die Augen vor meinem Blick und fragte, ob Rivka Schajnbach hier arbeite.
    »Madonna, jemand sucht dich«, rief ich.
    Sie putzte den Laden und rief zurück: »Wer?« Einen Moment später kam sie heraus, mit wildem schwarzem Schopf, klopfte sich den Staub aus dem Rock und kam auf die Theke zu, der junge Mann sah sie, bevor sie ihn bemerkte, er schaute zur Seite, zu den Säcken mit Bohnen und Reis, und sagte: »Rivka, Vater ruhe in Frieden, die Beerdigung ist um zwei Uhr.«
    »Ich bin für ihn schon seit zwei Jahren ›sie ruhe in Frieden‹, er hat meinetwegen seine Kleidung zerrissen und mich zur Hölle geschickt, was willst du, Nachman, dass ich zur Beerdigung komme?« Sie trat näher, blieb einen Meter von ihm entfernt stehen, ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren.
    »Rivka, es ist Vater.« Er schaute sie an, senkte aber schnell wieder den Blick. Ihre grüne Bluse saß zu eng auf denschmalen Rippen, und über dem Rockbund war ein Stück ihres nackten Bauchs zu sehen.
    »Er ist dein Vater«, sagte sie, sie ballte die Hände zu Fäusten, und ihre Augen glühten in dem blassen Gesicht. »Soweit es ihn betraf, war ich schon seit zwei Jahren tot.«
    »Du sollst deine Eltern ehren, Rivka. Die letzte Ehre.« Er sprach mit demütiger Stimme, sein Hals war gesenkt, sein Gesicht angespannt, seine Haut war so weiß wie die seiner Schwester, seine Augen ebenso schwarz, seine eine Hand tastete über die Schaufäden, die andere wusste nicht, was sie tun sollte, er öffnete und schloss die Finger.
    »Ihr seid alle Angsthasen, Nachman. Du, Mutter und Channa und Towa und Jankel und Menachem, ihr seid alle Angsthasen, einer wie der andere. Plötzlich, nachdem er gestorben ist, fällt euch ein, dass ihr eine Schwester habt. Rivka ist auferstanden. Hätte er weitergelebt, wäre Rivka weiterhin tot gewesen.«
    »Das ist nicht die Zeit, um abzurechnen, Rivka. Du sollst deinen Vater und

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