Wodka und Brot (German Edition)
bisschen mehr. Der Pfau hat schon drei blaue Augen im Schwanz. Meine Kinder stellen sich an, als wäre ihnen ein Bruder geboren worden, den ganzen Tag reden sie, was er gemacht hat, was er gegessen hat, was er geschissen hat, meine Frau sagt, sie verehren diesen Vogel, als wäre er Gott.« Wieder warf er einen Blick auf seine Uhr, wischte sich über den Mund, strich sein Hemd glatt, und bevor er zu den Zwiebeln und den Zucchini des Supermarkts zurückkehrte, sagte er zu mir: »Hoffentlich kommt dein Mann bald zurück. Aber Madonna stellt sich gut an. Ein Glück, dass du sie genommen hast. Gott soll dir und deinem Jungen helfen.«
Die Worte kamen aus seinem Mund, zusammen mit dem Geruch des warmen Baguettes, das er gegessen hatte, und weckten in mir eine Rührung, wie man sie sonst bei den Zeilen eines Gedichts empfindet.
Er ging hinaus, blieb auf dem Gehsteig stehen, schaute nach rechts und links, überquerte mit schnellen, erschrockenen Schritten die Straße, und die automatische Tür des Supermarkts öffnete sich vor ihm und schloss sich hinter ihm.
»Du kannst es noch schaffen«, sagte ich zu Madonna, es war halb zwei.
»Wohin?«
»Zur Beerdigung.«
»Du kennst meinen Vater nicht. Er wird aus dem Grab springen, wenn er mich dort sieht, er wird mich im Leichentuch verfolgen.« Sie stampfte mit dem Fuß auf, trommelte mit den Fingernägeln, knirschte mit den Zähnen, trieb zur Eile, wollte die Zeit mit Gewalt vorwärtsdrängen, und als sie im Radio sagten, es ist vierzehn Uhr, legte sie eine Kassette von Britney Spears ein und spielte sie in Diskothekenlautstärke ab, um die Stimmen der Beerdigungsgesellschaft und alles andere zu übertönen, was Akavja Ben Mahalal gesagt hatte, und damit die Seele ihres Vaters es hören musste, falls sie auf ihrem Weg nach oben über den Laden flog. Bitte sehr, soll seine Seele Britney Spears hören, soll er mit den Ohren schlackern.
»Meine Schwester Hanna hat geheiratet, und sie haben mir nichts davon gesagt, sie haben mich nicht eingeladen, sie haben mir keinen einzigen Krümel vom Kuchen aufgehoben. Für freudige Feste bin ich nicht gut genug, aber für den Friedhof schickt man mir eine persönliche Einladung.«
Eine Frau trat ein. »Was für eine Musik, was wird heute hier gefeiert, eine Hochzeit?« Sie hielt sich die Ohren zu und fragte, was Feuchtreinigungstücher kosteten. Ich ließ zu, dass Madonna gegen die Gegenwart tobte und sie mit Dezibel schlug, solange die Beerdigung ihres Vaters dauerte, nach einer halben Stunde stellte ich den Kassettenrekorder leiser, und damit endete die Trauerfeier, die im Laden für Rafael Schajnbach abgehalten wurde. Die Kerze löschte ich nicht, und Madonna ging immer wieder mal ins Lager und warf einen schnellen Blick auf die Flamme. Ein kleines Stück von Rivka Schajnbach steckte noch in ihr, das hatte sie noch nicht herausreißen können. Dieses Stück Rivka befahl ihr am nächsten Tag, für eine Stunde den Laden zuverlassen, zum Friedhof zu fahren und einen Stein auf das Grab zu legen.
»Ich habe ihm einen spitzen Stein hingelegt, so einen, wenn man jemanden mit dem trifft, dann sei Gott ihm gnädig.« Sie atmete tief, und ein Seufzer der Erleichterung verriet der Welt, dass sie ihre Rechnung mit einem wichtigen Thema abgeschlossen hatte. Doch sosehr sie sich auch bemühte, Madonna zu sein, sich anzog und schminkte wie Madonna und rauchte, blieb die kleine Rivka, die in ihr steckte, stur und brachte sie dazu, während der sieben Trauertage nervös und aufbrausend zu sein. Einmal rief sie in ihrem Elternhaus an und verlangte, mit Nachman zu sprechen, man sagte ihr, er sei mitten im Gebet und wollte wissen, wer ihn suchte, sie legte auf und rief kein zweites Mal an. Ich hörte, wie schnell sie atmete, und sah, wie sie Brotkrümel rollte, und sagte mir, vielleicht sind ja alle Entwurzelten so. Eines Morgens stehen sie auf, schneiden die Verbindung durch und gehen fort, aber für immer wird eine winzige Wurzelzelle in ihnen bleiben, und niemand wird etwas davon erfahren, bis sich zufällig eine Gelegenheit ergibt. Auch in meinem Mann wird sich, selbst wenn er auf einem Gipfel im Himalaja lebt, abgeschnitten von Gott und den Menschen, an irgendeinem Tag etwas regen und ein Samenkorn wird aufgehen. Seltsam, dass die dünne, leichtsinnige Madonna mich an Gideon erinnerte, aber wenn eine schwangere Frau die Straße entlanggeht, sieht sie lauter Schwangere, und eine Frau, deren Mann eine Metamorphose durchgemacht hat, sieht
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