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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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sollte sich duschen, schminken, Hauptsache, ich hatte einen Moment für mich. Ich machte das Licht in der Küche an und bedauerte, dass ich kein Baguette oder Brötchen aus dem Laden mitgebracht hatte. Ich war hungrig. Während mir Mary-Poppins-Flügel gewachsen waren, hatte ich nichts gebraucht, doch jetzt, nachdem die Flügel verwelkt waren, sehnte ich mich nach Baguette mit Rührei, nach Schnittkäse und Oliven, und danach noch ein Brot mit Avocado und Zwiebeln, und sogar ein drittes hätte das Loch in meinem Bauch wohl nicht gestopft. Als sie in die Küche zurückkam, war der Tisch schon für zwei Personen gedeckt, in der Mikrowelle tauten bereits sechs tiefgefrorene Brotscheiben auf und in der Pfanne brutzelte ein Omelette, eine doppelte Portion. Wie leicht war es doch, den Magen zu beruhigen, im Vergleich zu dem, was die Seele benötigte, um zur Ruhe zu kommen.
    »Setz dich«, sagte ich.
    Sie setzte sich, zog das schwarze Jackett aus und entblößte nackte runde Schultern und muskulöse Arme, deren Kraft aus einem Fitnessstudio oder von dem gewalttätigen Spiel des Lebens stammen musste. Ihre Muskeln passten nicht zu ihren zarten Händen. Ich führte ein Messer zu dem runden Omelette und zerteilte es mit einem energischen Schnitt, als würde ich das Schicksal zwischen uns teilen.
    »Wie viel hast du für den Zopf bekommen?«, fragte sie und nahm eine Scheibe Brot.
    »Gar nichts.«
    »Was heißt da nichts? Er war mindestens fünfhundert Schekel wert. Gib ihn mir, ich werde ihn für dich verkaufen, und ich komme nicht mit weniger als sechshundert zurück.«
    »Ich habe ihn beim Friseur auf dem Boden liegen lassen.«
    »Entschuldige, aber du bist echt bescheuert, ich hatte auch mal lange Haare, blonde, dickere als du, und weißt du, wie viel ich dafür gekriegt habe? Siebenhundert.«
    Ich betrachtete diese junge Frau mit ihren schwarzen Rabenhaaren und nahm an, dass der Verkauf ihrer blonden Haare eine Lüge war, die sie mir gerade verkaufte. Sie senkte den Blick, sie war ausgehungert, ich hatte das Essen noch nicht angerührt, da riss sie sich mit den Fingern schon Stücke aus dem Omelette, nahm die Gabel und stopfte sich den Mund voll. Wer weiß, wovon sie sich in der Gosse ernährte, in der sie sich herumtrieb. Sie aß, als wäre dies ihr erstes Omelette seit Jahren, wischte mit Brot das Fett aus dem Teller und vertilgte vier der sechs Scheiben Brot, die ich aufgetaut hatte. Das Leben hatte sie gelehrt, schnell zu nehmen, was ihr geboten wurde, keine Zeit mit Erklärungen und mit Dankbarkeit zu vergeuden. Als wären wir alle gleichberechtigte Teilhaber an den kosmischen Ressourcen, als gäbe es kein Mein und kein Dein, als würde dich die Welt nicht nach der Größe des Brockens einschätzen, der auf deinen Namen eingetragen ist. Nicht, dass ich eine große Sozialistin gewesen wäre, schließlich hatte ich in der Bank ein eigenes Büro gehabt, und von meinem Schreibtisch aus hatte ich Menschen beraten, wie man anderen am besten die Decke von den Beinen zog, und für jeden Geldbeutel, den zu füllen es mir gelang, gab es einen anderen, der leerer wurde. Doch nun, da ein hungriger Mensch sich so selbstverständlich an meinen Tisch setzte, als gehöre er zur Familie, und sich ohne Manieren und Berechnungen vollstopfte, dachte ich, dass es einigermaßen gerecht sei, letztendlich ist Gott der Herr über die Materie, und was in der Welt existiert, ist das, was es gibt, und seine Untertanensollen zusehen, wie sie damit zurechtkommen, und Madonna kam damit zurecht. Aber anscheinend nicht immer, wie sonst war sie so mager, und warum konnte man die Rippen unter dem billigen Unterhemd erkennen, das sie trug, und woher kam dieser Heißhunger, und warum schlug sie sich den Magen so voll, als gäbe es kein Morgen.
    »Wie alt bist du?«
    Ein großes Stück Schnittkäse rutschte in ihre Hand, bereit, verschlungen zu werden. »Sagen wir mal achtzehn.«
    Ihr Alter war eine Lüge, genau wie ihre blonden Haare. Sie bewahrte das wenige, was ihr gehörte, sorgfältig für sich, Alter, Haarfarbe und andere biografische Daten. Und was spielte es schon für eine Rolle, ob die Sonne seit ihrer Geburt die Erde achtzehn oder neunzehn Mal umrundet hatte? Hätte Nadav achtzehn gehört, hätte er vor der Leistung den Mund aufgrissen, jetzt saß er mit seinem Vater und Wodka am warmen Strand und zählte Sterne. Der Mond über ihren Köpfen ist schmal wie Draht, und Nadav fragt, was damit ist und wo dieses Stück jetzt fehlen mag. Gideon

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