Wodka und Brot (German Edition)
an Samson.« Er näherte sich mit den Lippen meinem Hals, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Draußen wurde es dunkler, der Stoffschirm der Stehlampe warf einen Lichtkreis, aber die Bücher, die Guavestücke und wir befanden uns im Dämmerlicht. Ich spannte mich, und mit einer plötzlichen Bewegung drehteich mich zur Seite, mein Nacken schüttelte die fremde Hand ab, die ihn berührte. Sein Telefon klingelte, er streckte die Hand nach dem Gerät aus, und ich ging ins Badezimmer. Aus dem Spiegel blickte mir eine fremde Frau entgegen, mit kurz geschnittenen stoppeligen Haaren, die die Form ihres Kopfes freilegten. Sie war erregt wie ich, aber jünger und schöner, auch sie hatte kurze Haare, und an ihrem Hals und in ihrem Ausschnitt waren noch abgeschnittene Härchen zu sehen. Ich drehte den Hahn auf und wusch mir den Hals, und die abgeschnittenen Haare blieben im Waschbecken, Dunst stieg auf und beschlug das Spiegelbild, die Frau verschwand. Ich trocknete mich mit dem einzigen Handtuch ab, das dort hing. Es war vom häufigen Waschen hart, die Farbe verblasst. In diesem Badezimmer waren keine weiblichen Utensilien zu entdecken. Eine einzige Zahnbürste, Deodorant, der Bademantel eines Mannes, Hausschuhe eines Mannes. Seife und Shampoo waren einfache Artikel aus dem Supermarkt, ein Kamm, in dessen Zinken noch ein paar Haare hingen, die nur von einem Mann stammen konnten. Ich zog mit dem Finger Furchen in den beschlagenen Spiegel und schrieb das Wort Elul hinein. Im vom Dunst befreiten Teil des Spiegels sah ich asymmetrische Lippen und starke Zähne. Scha’ul Harnoi stand hinter mir und atmete in meinen nackten Nacken.
»Wie viele Kinder hast du?«, fragte ich, mit dem Rücken zu ihm.
»Drei.«
»Sind sie bei ihrer Mutter?«
»Was spielt das jetzt für eine Rolle.« Der Anblick wurde klarer, das Wort Elul zeigte sich im Dunst wie mit dem Finger in Staub gemalt.
»Du hast recht. Es geht mich nichts an. Ich gehe jetzt.« Ich drehte mich zu ihm um. Er trat zur Seite, um mir den Weg in den Flur freizumachen.
»Hör zu, diese ganze Geschichte mit der Guave war überflüssig«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was mir eingefallen ist.« Ich griff nach meiner Tasche.
Er lachte. »Und am Schluss bleibst du mir wieder etwas schuldig.«
»Ich schulde dir gar nichts.«
»Eine halbe Guave«, sagte er, und diesmal lachte er nicht. Seine Augen blitzten wie früher, wenn er seine Gegner bei ideologischen Diskussionen besiegt hatte, wenn er ein semantisches oder philosophisches Kaninchen aus dem Hut gezogen und eindeutig gesiegt hatte. Ich verließ ihn mit einer Eile, die deutlich zeigte, dass ich kein Interesse an irgendeiner Abschiedszeremonie hatte. Ich schloss die Tür hinter mir, und er konnte von seiner Wohnung aus meine Sandalen hören, als ich leichtfüßig wie ein Kind die Treppe hinunterlief. Er würde mich vom Fenster aus auch sehen können, wenn ich in den Mazda sprang. Ich fühlte mich so leicht, als hätte ich ganze Kilogramme und Jahre auf dem Fußboden des Friseurladens zurückgelassen. Scha’ul Harnoi stand an seinem Fenster im zweiten Stock und sah zu, wie meine Sohlen kaum den Asphalt berührten. Er konnte mich nicht beschuldigen, betrunken zu sein, schließlich war er mit seiner Nase bei meinem Mund gewesen, und er konnte nichts anderes gerochen haben als Guave. Mit dem Haareschneiden war Gewicht von mir abgefallen, als hätten die Haare auch meine Seele belastet. Nun, da die Haare weg waren, hätte ich wie Mary Poppins über die Dächer schweben und den Mond mit einer Regenschirmspitze aufspießen können. Doch ein dumpfer Schlag unterbrachmeine Fantasien. Eine eingewickelte unreife Guave knallte auf das Dach des Mazda, und auf dem Einwickelpapier stand:
»Wenn du eine Verkäuferin bist, bin ich ein Frosch.«
»Dann bist du ein Frosch«, schrie ich zu seinem Fenster hinauf. Er hob die Hände über den Kopf zum Zeichen der Unterwerfung. Mein Schreien hatte Köpfe an die Fenster gelockt, neugierige Augen verfolgten die Szene und wurden enttäuscht, die Szene eines Fremden ist das beste Mittel, dich von deinen eigenen Szenen abzulenken. Der Mond über der Feigenstraße hing als weiße Sichel verlassen am schwarzen Himmel, klein wie der abgeschnittene Fingernagel eines Säuglings, ich hätte ihn herunternehmen und als Ohrschmuck verwenden können. Schon lange hatte ich mich nicht mehr so stark und energisch gefühlt, Wind blies mir durch die kurzen Haare und drückte sie an meinen Kopf. Ich war
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