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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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und kümmerte sich weiter um die Ölflaschen. Ich nahm dreihundert Schekel aus der Kasse und sagte: »Ein Vorschuss.« Er berührte das Geld nicht, schaute nachdenklich vor sich hin, dann griff er nach den Scheinen, faltete sie zusammen, stieß ein »Danke« aus und steckte sie ein. Wofür würde er sie ausgeben? Für Schuhe für den Kleinen? Für einen Zahnarzt für seine Frau? Oder würde er damit die Stromrechnung bezahlen? Nach Tiberias fahren?
    Ich verließ den Laden, als die Abendröte am Himmel erschien und die Bäume, die von der Stadtverwaltung gepflanzt worden waren, einfärbte. Na ja, Bäume. Magere Stämmchen, mit Stöcken gestützt, botanische Greise, deren Saft ausgetrocknet war. Ich ging zum Gemüsehändler und kaufte Gemüse für eine Suppe, und der Duft der Guaven stieg mir in die Nase. Gelblich grün und prall leuchteten sie aus den Kisten, die er einladend ausgestellt hatte. Ich drehte sie um und suchte mir die prachtvollste Frucht aus, schwer, gelb, vollkommen. Der Gemüsemann wickelte sie für mich ein, ich bezahlte und vergaß das orangefarbene Gemüse, dessentwegen ich gekommen war.
    Ich war schon ohne Zopf, als ich an die Wohnung in der Feigenstraße 9 klopfte und hörte, wie er zur Tür kam.
    »Warum?«, fragte er, als ich noch an der Tür stand, schüttelte den Kopf und betrachtete meinen Schädel von links und von rechts. »Zweimal warum? Warum hast du ihn abgeschnitten, und warum bist du gekommen?«
    »Ich habe ihn abgeschnitten, weil ich genug davon hatte. Und ich bin gekommen, um dir etwas zurückzugeben.« Ich machte meine Tasche auf und reichte ihm die Tüte mit der Guave.
    Er lachte, legte mir die Hand auf die Schulter, forderte mich auf, einzutreten und sagte: »Die erste Antwort ist nur halb wahr, die zweite ganz und gar gelogen.« Sein helles Jeanshemd stand ihm sehr gut. Er sah jünger aus als beim letzten Mal, als wir, der Junge und ich, gekommen waren, um uns den abgerissenen Himmel zurückzuholen. Vielleicht war er kurz vorher von der Arbeit zurückgekommen und hatte noch nicht das Image des charmanten Dozenten abgelegt, oder ich hatte ihn an einem Tag erwischt, an dem das Leben es gut mit ihm meinte und ihn attraktiv machte. Er ging in die Küche, mit diesem Mir-kann-nichts-passieren-Gang, der früher sein Kennzeichen gewesen war. Sein Rücken war gerade, die Brust nach vorn gewölbt und gespannt, er brachte ein Messer und einen Teller, teilte die Guave in der Mitte und sagte: »Halbe-halbe.« Er schlug die Zähne hinein und drehte das Gesicht zu mir. »Nun, warum isst du nicht?«
    »Ich bin hergekommen, um meine Schuld zu bezahlen, wenn ich jetzt esse, bleibe ich dir wieder etwas schuldig.« Trotzdem schnitt ich mir ein Stück von der geteilten Guave ab.
    Er schmatzte vor Vergnügen. »Der September riecht immer nach Guaven.«
    »Auch der Elul«, sagte ich, aber ein schneller Blick durch seine Junggesellenwohnung zeigte mir, dass der zwölfte Monat des jüdischen Kalenders nicht mehr zu seinem geistigen Repertoire gehörte. Der Korb mit den Zeitungen war voller Ausgaben in Englisch und Französisch, und inseinem Bücherregal stand eine zerfledderte Bibel, ein Relikt aus seiner ersten geistigen Reinkarnation, eng gequetscht zwischen dickbändigen Werken der Philosophie, der Geschichte, der Soziologie und Kunstbänden. Die Bibliothek eines gewöhnlichen westlichen Intellektuellen. Er sah, wie ich seine Bücher prüfte, lächelte und kniff die Augen zusammen.
    »Heute ist der erste Elul«, sagte ich.
    »Er tut mir leid.« Er deutete hinauf zur Decke und meinte den Himmel. »Am Ersten des Monats fallen ihm die Sephardim schon ab nachts um drei zur Last, und am Monatsende gesellen sich die Aschkenasim dazu.« Ein letztes Licht fiel aus dem Fenster auf die Guave, in die seine Zähne ein tiefes Relief geschlagen hatten. »Du musst dich auch für deinen wunderbaren Zopf entschuldigen, den du einfach abgeschnitten hast.« Mit geübter, natürlicher Selbstverständlichkeit strich seine Hand über meinen nackten Nacken, streichelte die Haut, glitt über die Wirbelsäule und blieb liegen. Ich hustete wegen des Guavestücks, das in meiner Kehle stecken blieb, bevor es hinunterglitt. Wie eine Kaskade von Dominosteinen schlugen meine Zähne gegeneinander, die Haut erinnerte sich und ignorierte das, was die Seele verdrängt hatte, damit es vergessen werden konnte.
    »Aber warum hast du dir die Haare so kurz schneiden lassen?« Er berührte mein Ohrläppchen. »Haare bedeuten  Kraft. Denke

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