Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
Vom Netzwerk:
an die Wärme dachte, die er von ihr bekommen und ihr gegeben hatte. Die Menschen weinen oft wegen eines geringeren Anlasses.
    Erst am Morgen, als ich den neuen Zettel aus dem Briefkasten holte, erinnerte ich mich an den zerknüllten vom Tag davor und nahm auch ihn heraus und las auf dem zerknitterten Papier: »Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?« Auch der neue Schrieb, der von heute, befasste sich mit dem Leid der Welt. »Ob er auch zweitausend Jahre lebte, und genösse keines Guten: kommt’s nicht alles an einen Ort?« Einen Moment lang hielt ich beide Blätter in der Hand, dann warf ich sie in  den Mülleimer, doch sie fielen daneben und trudelten die  Dorfstraße entlang. Der Alte beobachtete mich von seinem Fenster aus, und sein Gelächter ließ den Rollladen erzittern.
    »Einen Millimeter mehr und er hätte dir den Verstand abgeschnitten«, schrie er und lachte über meinen geschorenenSchädel. Ich sah ihn zum ersten Mal lachen, und das brachte mich dazu, ebenfalls in lautes und übertriebenes Gelächter auszubrechen, als habe es sich in mir angestaut und sei jetzt froh, eine Öffnung gefunden zu haben. Zwischen dem Mülleimer und seinem Fenster traf sich unser beider Lachen und mischte sich, bis Schoschana mit ihrem Suppentopf kam und rief: »Was ist mit euch?« Der Suppengeruch flog vor ihr her wie eine Wolke.
    »Schon wieder Erbsen, Schoschana?« Der Alte ließ ein letztes Lachen zu Boden kollern.
    »Was heißt da wieder, gestern war es Kürbis und morgen sind es Süßkartoffeln.«
    Schoschanas Gesicht war rot, ihre Haare waren mit einem roten Band zurückgebunden, das Rot, mit dem sie sich die Lippen angemalt hatte, war grell und glänzend.
    »Nie sagt er mal Danke«, sagte sie und hob das Gesicht zum Himmel, als wolle sie es der Sonne zeigen, der Ring an der Hand, mit der sie den Topf hielt, blitzte auf und spiegelte sich in dem glänzenden Edelstahl.
    »Da arbeitet man, man schleppt, man kauft, man kocht, man rennt, und er – schon wieder Erbsen, Schoschana?« Sie verzog den Mund und ahmte ihn nach, drückte den Topf gegen ihren Bauch und sagte, mit einem Blick zu mir: »Weißt du, ich bin nicht wie er, ich genieße das Leben, und wenn ich mich mal ärgere, habe ich es in der nächsten Minute schon vergessen. Stimmt’s, Papa?« Sie lächelte in Richtung Rollladen, bekam aber keine Antwort. »Nun, ich muss mich beeilen.« Sie lief mit dem Topf weiter. Die Gestalt hinter dem Fenster verschwand, er ging los, um dem Topf die Tür aufzumachen.
    Laute Stimmen drangen vom Haus herüber, Worte waren zu hören, Erbsen, Süßkartoffeln, tiefgefrorene Flügel,Putenbrust. Und auch klar, natürlich, erst wird der Messias kommen …
    Sie hatte recht. Im nächsten Moment hatte sie es schon vergessen. Sie kam aus dem Haus, die Stufen herunter, strahlte, ordnete das Band in ihren Haaren, zog sich die Bluse über der üppigen Brust zurecht und lachte, als hätte sie sich nicht gerade erst beklagt.
    Sie kam näher. »Deine Frisur ist schön. Aber was für ein Mut, wie viele Jahre hast du die Haare wachsen lassen? Es ist mir gleich aufgefallen, als ich gekommen bin, aber mein Vater hat mich geärgert, und ich reagiere immer gleich, ich kann mich nicht gleichzeitig auf einen Zopf und Erbsen konzentrieren.« Sie lachte und lief rasch zu ihrem Auto.
    »Möchten Sie einen Kaffee mit mir trinken, Herr Levi?« Ich drehte mich zum Fenster, hinter dem seine Gestalt wieder aufgetaucht war, der Rollladen wurde hochgezogen. Die Hand, die das Ohrläppchen rieb, hielt inne, die Lippen pressten sich zusammen, staunend, als läge ein Gewicht auf ihnen. Außer Schoschana, ihrem Mann und ihren Kindern hatte ich nie irgendjemanden bei ihm ein und aus gehen sehen, und auch ihn selbst hatte ich nicht oft die Stufen herabsteigen sehen.
    »Machen Sie einen Witz?« Er fing sich wieder und drückte die gerunzelte Stirn gegen das Fliegengitter.
    Hier war ein Mann, der die letzte Stufe des Lebens erreicht hatte, und die hätte er mit Schwung nehmen können, er hätte den Flug seines Lebens machen und satt landen können. Ohne Verantwortung für Mensch oder Tier, wohlhabend, mit einer für sein Alter guten Gesundheit, hätte er mit dem Rentnerclub nach China fliegen und vom Bus aus die schlitzäugigen Reisbauern beobachten können, erhätte Schmetterlinge züchten oder vernünftig im Kasino eines Ferienschiffs wetten können, er hätte einen Sombrero tragen können, eine nicht unbedingt gleichaltrige

Weitere Kostenlose Bücher