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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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nicht locker, denn wer konnte wissen, was die guten Wünsche eines Jungen an der Börse des Schicksals wert waren. »Komm, lass die Stifte einen Moment liegen und wünsch Papa ein gutes neues Jahr.«
    »Ich will nicht.« Er tauschte den roten Stift gegen einen blauen und zog das nach, was er schon gemalt hatte.
    »Lass ihn doch«, hörte ich die schwache Anweisung auf der anderen Seite.
    Ich platzte. »Ich will das nicht, du sollst mir nicht sagen, was ich zu tun habe, Gideon.« Der Junge hob erschrocken den Kopf vom Blatt, und ich beeilte mich, ihm über denNacken zu streicheln. »Komm, Schatz, sag ein gutes neues Jahr zu Papa«, flehte ich, ich hatte das Gefühl, dass unser Leben davon abhing, dass er diese paar Worte herausbrachte. »Los, tu’s, nur eine halbe Minute, sag’s und Schluss.« Ich konnte nicht mehr zurück, ich musste uns irgendeine Form von Zukunft sichern. »Ich bitte dich darum, ist es denn so schwer, Papa ein gutes neues Jahr zu wünschen? Du willst doch, dass er gesund wird, nicht wahr? Also sag ihm ein gutes neues Jahr …« Aber als ich ihn quälte, brach es aus ihm heraus: »Ich will nicht, du sollst mir nichts befehlen.« Sein Vater hörte dort in seinem Bett unserer Diskussion zu, und selbst wenn er das Telefon weit vom Ohr hielt und sogar wenn er es aufgelegt hatte, konnte er nicht anders, als bei dem »Ein gutes neues Jahr« zu erschrecken, das der Junge schließlich ins Telefon brüllte, ein gutes neues Jahr, das die Adern an seinem Hals anschwellen ließ, er knallte das Handy auf die Farbschachtel, warf die Küchentür hinter sich zu, floh in den Garten und warf Steine gegen die Schaukel. Wer wusste schon, welchen Eindruck dieser Schrei auf das Schicksal hatte und wie es das Jahr beeinflussen würde, das es uns bereitete.
    Auch der Alte brauchte gute Wünsche. Der Katheter hatte gezeigt, dass die Wege zu seinem Herzen verstopft waren, man musste den Brustkorb öffnen und Bypässe legen. Dieser Katheter verschaffte uns erneut einen Besuch seines Sohnes Amos. Der Junge hörte, wie an die Tür geklopft wurde, und verkündete aufgeregt: »Mama, das ist der Sohn von Herrn Levi, der Sohn von Herrn Levi!«
    Ich hörte einen Mann an der Tür lachen und wunderte mich, dass dieser faltige Hals so ein lautes und befreites Lachen hervorbringen konnte. Ich ging ebenfalls zur Tür.Amos stand dort, aufrecht, schon wieder ernst geworden, man würde, wenn es keine andere Möglichkeit gäbe, den Alten an den Feiertagen operieren, und die Anwesenheit eines Familienmitglieds sei erforderlich. Der Alte weigere sich beharrlich, ihm die Schlüssel zu seinem Haus zu geben, er versperre jeden Zugriff auf die kleinen Schuhe, die er schon seit zehn Jahren gefangen hielt. Seit Jahren hatte er nicht mehr mit seinem Vater gesprochen, und plötzlich war er seine einzige Stütze geworden.
    »Du kannst hier bei uns wohnen, wir fahren über die Feiertage weg.« Ich gab ihm den Reserveschlüssel zu dem Haus, das ursprünglich einmal ihm gehört hatte und wieder sein Eigentum werden würde, zusammen mit allem, was der Alte nach seinem Tod hinterließ.
    »Kaffee? Saft?«
    »Nein, ich muss rennen.«
    »Renne durchs Tal, flieg auf den Berg  …«, witzelte ich, und die Clint-Eastwood-Falten wurden tiefer, er schnaubte, als bediente ich mich ohne Erlaubnis seines Privatbesitzes. Nadav betrachtete unseren Besucher, der den Schlüssel in die Tasche steckte, er freute sich, dass der Mann unsere Toilette benutzte, und hoffte, er würde auch in dieser Nacht hierbleiben. Er wollte, dass ich neben ihm schlief, und vor allem wollte er ein Haus mit dem Lärm von drei Personen, wie es früher gewesen war.
    »Ziehst du ihn allein auf?«, fragte Amos, als er von der Toilette zurückkam, sein Hemd zurechtzog und zur Tür ging.
    »Ja, nein, eigentlich nicht.« Ein Schwächegefühl ergriff mich, ging aber sofort vorüber.
    »Du musst dich entscheiden.«
    »Vorübergehend allein.«
    Er verlangte keine Erklärung, die Wipfel des Waldes, die sich in der Tür zeigten, erhoben sich hinter ihm, die Sonne drang durch die Zwischenräume zwischen ihm und dem Türstock herein, einen Moment lang wurden seine schwarzen Augen von der Sonne getroffen, ein dunkelblauer Blitz fuhr auf, dann war es vorbei, sie lagen wieder tief in den Höhlen, der dichte Bogen der Brauen verdunkelte sie und machte sie düster.
    »Was ist, Junge, möchtest du ein Papierschiffchen?«
    Nadav flog ins Haus, er brachte das Papier mit den wütenden Dreiecken, die er gemalt

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