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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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hatte, und hielt es ihm hin. Der Sohn des Alten faltete das Papier mit der Geschwindigkeit eines Origamikünstlers und reichte ihm ein Schiff mit gespannten Segeln und spitzem Bug, seine Augen folgten den kleinen Händen, die das Boot durch die Luft fliegen ließen. Der kleine Seemann widerstand Stürmen, nahm Seeräuber gefangen, fing Wale und faszinierte den Gast. Der Adamsapfel von Levis Sohn bewegte sich auf und ab, er fuhr sich mit nervöser Hand durch lichter werdendes Haar, beugte den Hals zu dem Jungen und beobachtete, was er tat. Offenbar ist nur Gott gefeit gegen das Lachen von Kindern, von seiner Höhe sieht ihr Lachen aus wie banale Smileyaufkleber. Aber unser Gast war von hier, und das Lachen kam zu ihm, als würde ihn sein toter Sohn aus der Erde heraus anlachen. Er richtete sich auf, sagte ein hastiges Bye und lief mit schnellen Schritten zum Tor, und unser Schlüssel mischte sich mit den anderen Schlüsseln in seiner Tasche und klirrte gemeinsam mit ihnen. Plötzlich versank das Boot, der Seemann rettete sich an festes Land, stand auf dem Kai an der Tür, und seine Augen folgten dem Schiffsbauer, der im Sturm den Hof verließ, das Tor öffnete und losließ, sodass es krachend zufiel.
    »Wann kommt er wieder?« Nadav sah aus, als wäre er mitten in einem Vertragsabschluss und die andere Seite wäre plötzlich aufgestanden und weggegangen. Das Heulen einer Katze brachte Wodka dazu, sinnlos zu bellen und das Fell zu sträuben. Nadav vergaß seine Frage und beobachtete den Streit der Tiere. Schon seit jeher sind Hunde und Katzen Feinde, aber diesmal lag in dieser Tatsache eine besondere Gnade.
    An Neujahr, wenn alle ihre Vergangenheit bedenken, bedachte ich gegen meinen Willen unsere Zukunft, was man mit Gideon tun könnte, damit er wieder zu sich selbst zurückfand, und was wir tun konnten, wenn er nicht mehr zu sich zurückfand und ein anderer wäre. Vielleicht waren die beiden leeren Tage in der Neurologie ja gut für ihn, er würde schlafen, bis in die letzte Zelle seines Körpers, und erholt aufwachen und sein Leben wieder in die Hand nehmen. Inzwischen würden die Untersuchungen in den Labors weitergehen und zu einer klaren Diagnose führen, man würde herausfinden, was ihm fehlte oder wovon er zu viel hatte. Ich schaltete das Telefon während der Feiertage aus, zwei Tage lang würde er kein Wort von mir hören und ich keines von ihm. Ich machte mir keine Sorgen, er wurde gut bewacht, sowohl von der Hand Gottes als auch von den Menschen, es bestand keine Gefahr für sein Leben. Wenn ich mir um jemanden Sorgen machen musste, war es Herr Levi, dessen Leben in diesen beiden Tagen auf der Kippe stand. Als man in den Synagogen das Schofar blies, wurde auf dem Operationstisch sein Brustkorb geöffnet, und die Ärzte sahen seine Trauer, seinen Zorn, wühlten in seinen Sehnsüchten, berührten seinen Hass, umgingen Hindernisse und ertasteten sich den Weg zu seinem Herzen.Amos schlief zwei Tage in meinem Bett, er lief in unserem Haus herum, und unser Haus war voller Anzeichen eines lebendigen Jungen, Feuerwehrautos, kleine Unterhosen im Badezimmer, Mickymäuse, Sandalen der Größe achtundzwanzig, Plastikbecher mit Trinkrohr, ein Fußschemel vor dem Spülbecken, eine Taucherbrille am Badewannenrand, Aufkleber von Pinguinen und Seehunden auf den Kacheln, wohin er sich auch wandte, das Leben eines fünfjährigen Jungen blickte ihm von den Wänden entgegen, vom Fußboden, von den Möbelstücken. Auch das Leben einer Frau über dreißig. Im Badezimmer, im Schrank, bei der Wäsche, auf der Toilette, in Form von Unterhosen, die auf der Wäscheleine geblieben waren. Wenn er es darauf anlegte, konnte er sich ein vollkommenes Bild unseres Lebens machen. Doch dafür war er nicht gekommen, zehn Jahre lang hatte er sich nicht für seinen Vater interessiert, er tat es auch jetzt nicht. Er war hier, weil die Klempner der Kardiologie um die Anwesenheit eines Familienmitglieds gebeten hatten, an dem Tag, an dem sie die alten Rohre reparieren wollten. Schoschana konnte nicht kommen, denn sie hatte eigene kardiologische Probleme, sie bekam keine Luft beim Treppensteigen, ihr linker Arm schmerzte, und der Arzt in Herzlija hatte ihr strenge Ruhe verordnet. Sie befolgte die Anweisung des Arztes, fand aber keine Ruhe, sie rief an, weinte, bat mich, ein Auge auf ihren Vater zu haben. Amos, ihr Bruder, habe seine eigene Last zu tragen, sagte sie, er sei unfähig, ihrem Vater auch nur ein Glas Wasser zu reichen, zehn Jahre, hörst

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