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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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sie noch nie gesehen hatte, weder er noch seine Mutter. Tief liegende Augen, verschattet von dichten schwarzen Brauen, Augen, in denen Funken aufleuchteten und wieder erloschen, sie brauchten keine Sonnenbrille, sie hatten einen natürlichen Schatten. Linien wie bei Clint Eastwood zogen sich durch seine Wangen, eine auf jeder Seite, gerade und tief, wie mit einem Messer sorgfältig in die Haut geschnitten.
    Ich legte dem Jungen meine schmutzige Hand auf die Schulter. »Sei nicht so schüchtern, Nadav, das ist der Sohn von Herrn Levi.«
    Nadav drückte die Zapfen fest an die Brust, schüttelte sich und wandte sich zu dem Haufen neben der Schaukel.
    Herr Levis Sohn beugte sich zum Wasserhahn, spülte sich den Mund aus, spuckte Petersilienwasser aus, trank, wusch sich das Gesicht, trocknete sich die Hände an derHose und sagte: »Gut«, und ging zum Auto, das vor dem Haus des Alten stand.
    »Er heißt Amos«, sagte ich zu Nadav, denn ich spürte ein Bedürfnis, seinen Namen auszusprechen. »Hast du gehört? Amos.«
    »Bei mir im Kindergarten gibt es auch einen Amos.« Er schaute sich nach Wodka um und rief ihn. Der Hund kam zurück, mit heraushängender feuchter Zunge, leckte meine zitternden Knie.
    Der Junge fragte, ob dieser Mann noch einmal kommen würde.
    »Ich glaube nicht.«
    Insgeheim wusste ich, dass er kommen würde. Entweder wegen seines Vaters oder wegen der Schuhe oder wegen des toten Jungen oder wegen etwas anderem.
    Ich hatte recht. Wir waren beim Abendessen, da klopfte Herr Levis Sohn an die Tür, er stand gebeugt im Türrahmen und sagte: »Er soll morgen sehr früh einen Herzkatheter bekommen, jemand von der Familie sollte dabei sein. Können Sie hingehen?«
    »Ich gehöre nicht zur Familie, und ich kann sowieso nicht. Möchten Sie etwas Kaltes trinken?«
    Auch Schoschana konnte nicht. Sie musste selbst untersucht werden. Eins, zwei, drei, und du bist frei.
    Es lohnte sich nicht, in den Norden zu fahren und wiederzukommen, er hatte keinen Schlüssel für das Haus seines Vaters, es blieb ihm nichts anderes übrig. Ich überließ ihm mein Zimmer und schlug für mich das Klappbett am Fuß vom Bett des Jungen auf.
    »Du hast gesagt, du glaubst, er würde nicht wiederkommen«, flüsterte Nadav.
    »Ich habe mich geirrt.«
    »Wird Papa sterben?«
    »Wieso denn das?«
    Er schlief sofort ein. Ich nicht. Ein fremder Mann lag im Nebenzimmer, in meinem Bett, er atmete rhythmisch, er schlief. Nur nicht nachdenken, sei still, Gehirn, morgen ist auch noch ein Tag, still, habe ich gesagt, still, Gehirn …

8
    Vier Tage schlief ich auf dem Laken, auf dem Amos geschlafen hatte, ohne es zu wechseln. Nach vier Tagen, am Vorabend des Neujahrsfestes, packte ich einen kleinen Koffer für Nadav und mich, und wir fuhren zu Jonathan und Tamar, um die Feiertage bei ihnen zu verbringen und um mit Gott zu hadern, der über uns ist. Die Hoffnungen und der Jubel waren stark und glatt aus der Kehle des Schofars, aber sie ließen mein Herz nicht erzittern, denn mein Herz war woanders. Gott möge mir verzeihen, dass ich auf dem Höhepunkt des Neujahrsfestes nicht an seine Größe und meine Nichtigkeit dachte, und dass ich, statt aufgewühlt vom Schofar zum Himmel zu schauen, meine Fingernägel betrachtete und an Gideon und an das dachte, was uns geschah. Tamar nahm an, ich wäre tief bewegt, weil an diesem Tag die Welt geboren wurde und uns vor Gericht stellte. Sie vergoss eine Träne vor lauter Freude und fürchtete um ihre Schwangerschaft und liebte Gott ihretwegen.
    Vor dem Fest hatte ich zu Gideon gesagt, komm, bitten wir die Ärzte der Neurologie, dass sie dir für das Fest freigeben, aber er atmete tief und blies die Luft aus wie eine Last, dieer loswerden musste, und sagte: »Lass mich, wozu sollte ich weggehen und wiederkommen und das alles, ich ziehe es vor, diesen ganzen Krankenhausaufenthalt an einem Stück hinter mich zu bringen.«
    »Und wenn es vorbei ist, kommst du dann nach Hause?«
    »Erst sollten wir damit fertig sein. Eins nach dem anderen.«
    Er zog die Decke bis zum Hals und sagte, er sei todmüde, vielleicht fehle ihm ja irgendeine Substanz im Körper, und es sei gut, dass sie an den Festtagen keine Untersuchungen machten, die Abteilung wäre bestimmt halb leer und es wäre still, er könne zwei Tage lang schlafen, und wenn er aufwache, sei er wie neu. Ich brachte ihm ein Glas Honig, einen Apfel und Kuchen, ein Messer und einen Teller von unserem festlichen Service und eine kleine Flasche Wein. Er bedankte sich,

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