Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
sollte er davon erfahren. Nun, da ihre Sinne nicht mehr libidinös getrübt waren, sah sie ihren Exliebhaber mit anderen Augen: ein schmalbrüstiger, dezent sächselnder BWL-Student, der sich die Haare schwärzte und gerne den feurigen Südländer gab. Das Ganze war Klara im nachhinein höchstpeinlich. Niemals durfte Robin von Mario erfahren. Nicht seine Eifersucht fürchtete sie, sondern seine Verachtung.
Im Schlafzimmer waren die Jalousien halb geschlossen. Auf einem kaum benutzten Bügelbrett stapelten sich Pullover, T-Shirts und Unterwäsche, der Rest hing auf einem dieser beweglichen Kleiderständer, wie sie auch in Boutiquen stehen.
»Barbara hat Besuch«, sagte Robin. Er war ihr gefolgt und lehnte nun in der Schlafzimmertür.
»Ein Kerl?« fragte Klara.
»Eine Türkin. Glaube ich.«
Wir sind schon richtige Landeier geworden, dachte Klara. In der Stadt hätte Robin den Besuch garantiert nicht einmal erwähnt, während er hier wie ein aufgescheuchtes Huhn angerannt kam, um die Sensation zu verkünden. Sie schlüpfte in eine Bundeswehrhose und streifte sich ein nicht mehr ganz sauberes, graugrünes Sweatshirt über.
»Ist Krieg?« fragte Robin. Er folgte Klara in die Küche. Ein barbarischer Gestank nagelte ihn im Türrahmen fest. Mit der Hand vor Mund und Nase sah er zu, wie Klara faustgroße Brocken von etwas Undefinierbarem vom Abtropf der Spüle nahm und in eine Schüssel warf.
»Pansen«, lächelte Klara. »Stinkt ein bißchen, ist aber das Allerbeste.«
»Kriegen Sie es wieder vorgekaut oder müssen sie heute selber ran?« Robin ging durch die Küche und riß das Fenster auf.
»Aus dem Alter sind sie doch längst raus.«
»Hallelujah«, frohlockte Robin zum Fenster hinaus. »Du wirst es nicht glauben, aber ich fand es immer ein klein wenig vulgär.«
»Ich habe dich auch schon Tartar essen sehen«, entgegnete Klara. Sie war Vegetarierin. Eingefleischte Vegetarierin , wie Robin gerne formulierte.
»Es kostet Überwindung, eine Frau zu küssen, die rohes Fleisch zerkaut und es ihren Welpen vor die Füße kotzt.«
»Ich kann mich nicht erinnern, wann wir uns in letzter Zeit geküßt hätten.«
»Eben. Sie treibt sich übrigens im Garten herum.«
»In welchem Garten?« fragte Klara alarmiert und eilte ins Schlafzimmer, um durch die Jalousien zu spähen. Die fremde Person stand am Gitter des Zwingers. Klara konnte sie im Profil sehen.
»Ich finde, sie sieht nicht wie eine Türkin aus.«
»Stimmt«, sagte Robin. »Das Kopftuch fehlt.« Er war neben sie getreten. »Sie sieht dir ähnlich.«
»Nicht die Bohne!«
»Nur daß sie natürlich fast deine Tochter sein könnte.«
Klara revanchierte sich auf der Stelle: »Was macht dein großes Werk? Wie lautet der richtungsweisende erste Satz?«
Robin ignorierte die Frage. Beide spähten durch die Jalousie nach draußen, und Klara murmelte: »Was, zum Teufel, hat sie da wieder angeschleppt?«
Alle Prozeßbeteiligten erhoben sich, als Richter Johannes Frenzen im Namen des Volkes das Urteil verkündete: Sechzehn Monate Jugendstrafe, für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Er forderte die Anwesenden auf, sich zu setzen, und verlas die Urteilsbegründung. Der Jugendliche war nicht vorbestraft, er hatte aus seiner Sicht aus hehren Motiven gehandelt, nämlich um seinem pleite gegangenen Vater aus der Klemme zu helfen. Jedoch blieb ein Überfall ein Überfall, auch wenn die Pistole nicht echt gewesen war, was die Kassiererin der Tankstelle schließlich nicht hatte wissen können. Der Jugendliche hatte sich während der Verhandlung ehrlich zerknirscht bei der jungen Frau entschuldigt, was ihm positiv angerechnet wurde.
»Und aus!« tönte es durch den Gerichtssaal. Sofort kam Bewegung auf. Die sechs Kameras schrammten über das Parkett, daß die Dielen knarrten, Darsteller, Kameraleute, Assistenten, Kabelhilfen und Beleuchter wuselten durcheinander, der Angeklagte stand auf und stürzte zum Richtertisch. »Kann ich bitte ein Autogramm haben?«
Hannes erfüllte ihm den Wunsch. Der Junge war gut gewesen, nicht so hölzern wie die meisten, und auf jeden Fall natürlicher als Lemming, dieser Schmierenkomödiant von einem Anwalt. Von der Reinecke, diesem Fischweib, gar nicht zu reden. Er entfernte das Mikrofon, das auf der Innenseite des Kragens seiner Robe angeklemmt und mit dem Sender verbunden war, den er am Bund seiner dünnen Leinenhose trug. Er sehnte sich danach, die Robe endlich ausziehen zu können. Draußen war ein lauer Tag, und im Studio war es
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