Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
unerträglich heiß. Er mußte unbedingt noch einmal den Einbau einer neuen Klimaanlage anmahnen.
Die überfallene Tankstellenkassiererin bahnte sich einen Weg zu seinem Platz. Sie war höchstens zwanzig und sogar für einen privaten Sender sehr grell geschminkt. Offenbar hatte sie schon geahnt, daß es warm werden könnte, denn ein bauchfreies Oberteil mit Spaghettiträgern und eine Art Lendenschurz brachten ihren telegenen Körperbau zur Geltung. Höchste Zeit, wieder einmal das Thema Erscheinungsbild der weiblichen Prozeßbeteiligten anzuschneiden, dachte Hannes, sonst würden sie demnächst in Unterwäsche erscheinen. Selbst auf die Gefahr hin, daß ihm der CvD wie neulich antworten sollte: »Wir sind das Fernsehgericht, Hannes, nicht das Jüngste.«
Hannes war überzeugt: Ohne seine gelegentlichen Interventionen würde das Niveau der Show ins Unerträgliche sinken. Viel fehlte bis dahin ohnehin nicht mehr.
»Wie läuft das jetzt so, geht man noch wohin, was trinken?« fragte die Darstellerin, wobei sie sich keck mit einer Hinterbacke auf den Richtertisch setzte und ihm ihre hochgezurrten Brüste wie Orden entgegenwölbte.
Nun war es durchaus nicht so, daß Hannes jedem Rock nachstieg. Es waren die Frauen, die wie verrückt hinter seiner Robe her waren. Auch jetzt gab er den Zugeknöpften: » Man geht vielleicht in die Caféteria. Fragen Sie doch den Kollegen Lemming, der zeigt Ihnen sicher gern den Weg.«
»Ich würde aber viel lieber mit Ihnen gehen.« Ihr Bauchnabelpiercing hatte die Form einer glitzernden Schlange.
Hannes lächelte milde. »Das geht leider nicht, ich habe gleich noch eine weitere Sendung aufzuzeichnen und muß mich vorbereiten.« Das stimmte. In einer knappen Stunde würde er den nächsten Fall verhandeln: sexuelle Nötigung einer minderjährigen Ladendiebin durch einen Kaufhausdetektiv.
Die junge Dame gehörte zur hartnäckigen Sorte. »Wie wäre es denn hinterher? Oder heute abend?«
»Vielleicht ein andermal«, sagte er und wühlte dabei in seiner Aktentasche, als sei er tatsächlich ein Staatsbeamter im Dienst. Das Mädchen lächelte tapfer und manövrierte ihr Hinterteil erneut geschickt zwischen Menschen und Gerätschaften hindurch. Hannes konnte beobachten, wie sie Lemming vor der Tür um ein Autogramm bat. Netter Hintern, dachte er gerade, als er den Blick der Reinecke auf sich gerichtet fühlte.
»Wirklich Hannes, ich finde das so toll, daß du überhaupt nicht auf Primärreize reagierst.«
Hannes sah sie an. Ein paar Falten hatten sich ins Make-up gegraben. Ihr Teint war, wie immer, sehr braun und das Haar sehr blond.
»Meinst du nicht, daß du es manchmal ein bißchen übertreibst? Einen Zeugen derart niederzubrüllen …«
Ihr Grinsen erstarb. »Irgend jemand muß schließlich auch ein paar Emotionen rüberbringen. Außerdem stand im Skript: heftig.«
»Seit wann halten wir uns an das Skript?«
»Du kannst dich ja beim CvD beschweren, dann läßt er es vielleicht rausschneiden.«
Aha. Auf Kieferle war also auch kein Verlaß. Neulich war Hannes der Kragen geplatzt, und er hatte den CvD ersucht, Sabrina Reineckes ordinärem Mundwerk Einhalt zu gebieten. Als ob sich eine Staatsanwältin in einer Verhandlung jemals so aufführen würde. Nicht einmal sie selbst täte das, wenn sie in einem realen Gerichtssaal stünde. Jemand mußte ihr endlich klarmachen, daß dies eine Gerichtssendung war, und keine Schmuddeltalkshow. Seine Gerichtssendung, im übrigen, die seinen Namen trug: Richter Johannes Frenzen .
»Was willst du? Das Nachmittagspublikum ist dasselbe wie bei Kiesbauer«, hatte der Chef vom Dienst, Kieferle, geantwortet. »Die selben Menschen, die selben Probleme. Die bügelnde Hausfrau will Leidenschaft, Skandale, Gefühle. Es muß menscheln.«
Damit es richtig menschelte, setzte man auf Laiendarsteller. »Hölzern, aber authentisch«, fanden der CvD und die beiden Chefs der Produktionsfirma Prado-Film , Jochen Prader und Thomas Doran. Ähnliches galt für die Staatsanwälte und Verteidiger. Sie waren, genau wie Hannes, keine Schauspieler, sondern professionelle Juristen. Allerdings hatte man ihnen ein paar Intensivkurse verpaßt. Der Erfolg der Sendung gab dem CvD recht. Und der Mißerfolg auf der anderen Seite: Eine Viererstaffel Neunzigminüter mit Johannes Frenzen und einigen Profischauspielern war an vier aufeinanderfolgenden Donnerstagen zur Prime Time gesendet worden. Zwei verzwickte Mordfälle, ein Totschlag und ein Betrugsfall. Johannes Frenzens
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