Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Hannes aus dem Fenster. Vier Fotografen schlichen vor dem Tor herum und knipsten die Ruine seines Wohnhauses, die schwarz in den Frühlingshimmel ragte. Das waren sicher nicht die ersten und nicht die letzten, dachte Hannes verdrossen.
Vor dem Schuppen lag Merlin und fixierte den Kater, der auf dem Sockel saß, auf dem nun der Gargoyle fehlte. Die beiden Tiere verband eine tiefe, gegenseitige Abneigung, aber aus dem Weg gingen sie sich dennoch nicht. Besonders der Kater legte es immer wieder darauf an.
»Wie ist das passiert? Hast du deine Zigarre nicht ordentlich ausgemacht?«
»Eher nicht. Es sieht mir schwer nach Brandstiftung aus.«
»Ich wollte dir eigentlich nur sagen, daß ich Neuigkeiten von Sharifa Zaimeh habe. Sie ist gestern freiwillig ins Landeskrankenhaus Wunstorf zurückgekehrt.«
»Gestern?« wiederholte Hannes.
»Ja. Am Nachmittag. Sie ist seitdem in U-Haft. Zwischenzeitlich war sie bei einer früheren Lehrerin in Hameln untergekrochen, und die hat sie schließlich dazu überreden können, sich zu stellen.«
»Danke«, sagte Hannes.
»Sie war es jedenfalls nicht.«
»Nein«, sagte Hannes. »Sie war es nicht.«
Im Schneckentempo tuckerte das Boot über den See, dessen Namen Hannes nicht aussprechen konnte. Der See war auf allen Seiten von Wald umschlossen. Wenn man mich hier aussetzte, dachte er, wäre ich verloren. Seit Stunden durchquerte er Wald, nichts als Wald. Zuerst mit dem Wagen, jetzt mit dem Boot. Er hatte schon den Glauben daran verloren, jemals wieder ein Anzeichen von Zivilisation zu Gesicht zu bekommen, als er die Hütte bemerkte. Sie lag in einer kleinen Schneise, die man extra dafür geschlagen hatte, etwa dreißig Meter vom Seeufer entfernt. Sie war ochsenblutrot gestrichen. Das Mökki . Ein Weg führte ans Wasser. Dort lag, angebunden an einen kleinen Steg, ein winziges Motorboot. Merlin begann zu zittern und zu jaulen, als sie sich dem Ufer näherten.
Sein Fährmann steuerte das Boot auf die freie Seite des Stegs. Hannes nahm seine Reisetasche aus dem Boot und stellte sie auf den Steg. Merlin sprang hinterher. Der Steg sah aus, als würde er jeden Moment zusammenbrechen, spätestens dann, wenn er ihn betrat.
»Auf Wiedersehen.«
»Wie? Wollen Sie nicht mitkommen?« wunderte sich Hannes, der von plötzlicher Schüchternheit übermannt wurde.
»Nein. Wir sehen uns die Tage, wir sind ja Nachbarn. Spätestens treffen wir uns nächste Woche, zur Sonnwendfeier.«
Eine Stunde Bootsfahrt galt also noch als Nachbarschaft. Na gut. Er mußte wohl in einigen Dingen gehörig umdenken. Das Boot tuckerte davon. Als Hannes sich umdrehte, war Merlin verschwunden. Er nahm seine Tasche auf und ging vorsichtig über die schwankenden Bretter. Alles war ruhig. Es roch nach Harz und nach gekochten Pilzen und nach Kaffee. Mücken tanzten in der Luft.
Er ging auf das Haus zu. Klara erschien in der Tür, neben ihr Merlin, der selbstvergessen vor Glück um sie herumtanzte. Sie trug leichte, helle Sommerhosen und ein blaues Herrenhemd. Sie hatte eine Kaffeekanne in der Hand, die sie nun auf einem Holztisch abstellte.
»Hei«, sagte Klara.
»Hei«, sagte Hannes.
»Kaffee ist fertig.«
Sie setzten sich nebeneinander auf die Bank.
»Dein Vater ist nett.«
»Ja.«
Sie tranken Kaffee. Er schmeckte und roch anders als zu Hause. Alles schmeckte und roch hier anders als zu Hause.
Sie ließen sich die Sonne ins Gesicht scheinen.
»Warm hier«, sagte Hannes und öffnete sein Hemd.
»Dreißig Grad. Du kriegst einen Sonnenbrand, wenn du nicht aufpaßt.«
»Und der See?«
»Sehr fischreich dieses Jahr. Wir werden nicht verhungern.«
»Kann man drin baden?«
»Sicher.«
»Es könnten ja irgendwelche Ungeheuer darin leben.«
»Was ist mit Barbara?« fragte Klara.
»Man kann es ihr nicht beweisen.«
»Ärgert dich das?«
»Den Mercedes nehme ich ihr schon übel.«
»Ja, schade drum«, seufzte Klara.
»Ich hätte sie vielleicht nicht so kühl behandeln sollen. Aber ich werde nun mal nicht gerne erpreßt.«
»Du hast Robin meinen Brief gegeben?« fragte sie übergangslos.
Er nickte
»Und?«
»Er hat ihn gelesen und verbrannt«, antwortete Hannes.
»Ich ertrage den Gedanken nicht, daß er für mich ins Gefängnis geht! So ein Opfer kann kein Mensch annehmen. Ich schon gar nicht.«
»Es bestehen gute Chancen, daß er Bewährung bekommt. Und selbst wenn nicht, werden es bei ihm nur ein paar Monate sein.«
»Ich fühle mich mies dabei.«
»Du mußt auch mal lernen, was anzunehmen«, sagte
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