Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
Eigentlich haben wir nichts gemeinsam, abgesehen von der Hartnäckigkeit, eine ewig lange Ausbildung durchzustehen. Hope und ich sind Paradebeispiele dafür. Deshalb glaube ich auch nicht, Ihnen viel helfen zu können.«
»Immerhin kannte sie Sie gut genug, um Sie zu bitten, bei dem Disziplinarausschuss mitzumachen.«
Sie legte ihren Stift auf den Schreibtisch. »Der Ausschuss. Ich dachte mir schon, es würde darum gehen.Was unserVerhältnis zueinander betrifft, so hatten wir zwar ein paarmale miteinander gesprochen, bevor sie mich bat, dabei mitzumachen, aber wir waren weiß Gott keine Freundinnen. Was weiß die Polizei über den Ausschuss?«
»Sie kennt seine Geschichte, und sie weiß, dass er aufgelöst wurde. Außerdem liegen ihr die Mitschriften der drei verhandelten Fälle vor. Mir fiel auf, dass Sie beim dritten Mal nicht mehr dabei waren.«
»Weil ich zurückgetreten war«, sagte sie. »Aus heutiger Sicht ist es offensichtlich, das Ganze war ein Fehler, aber ich habe eine Weile gebraucht, um das zu erkennen.«
»In welcher Hinsicht ein Fehler?«
»Ich denke, gegen Hopes Motive war nichts einzuwenden, aber die haben sie irgendwie in die Irre geleitet. Ich hatte geglaubt, Konflikte sollten beigelegt werden und nicht neue geschaffen.«
»Haben Sie ihr gegenüber Ihre Bedenken geäußert?«
Sie presste die Lippen aufeinander und starrte gegen die Decke. »Nein. Hope war ein sehr komplexer Mensch.«
»Das heißt, sie hätte nicht auf Sie gehört?«
»Ich weiß es nicht. Es war nur... ich will nicht schlecht über Tote reden. Sagen wir einfach, sie hatte einen sehr starken Willen.«
»War sie obsessiv?«
»Wenn es um misshandelte Frauen ging, zweifellos. Und das finde ich auch absolut angemessen.«
Sie klopfte sich mit dem Stift aufs Knie. »Wenn jemand sich besonders leidenschaftlich für etwas engagiert, kann es vorkommen, dass er Informationen ausblendet, die er nicht mit seiner Sache vereinbaren kann. Bei ihr war das so stark der Fall, dass ich mich gefragt habe, ob sie selbst Missbrauchserfahrungen gemacht hat, die ihre wissenschaftliche Arbeit beeinflussten - aber das fällt mehr in Ihr Gebiet als in meins.«
Die Leise.
»War sie mit solcher Leidenschaft dabei?«, fragte ich. Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, biss sich auf die Lippen und nickte. Dann legte sie einen Finger an die Wange.
»Ehrlich gesagt habe ich ein ungutes Gefühl dabei, Hope so etwas zu unterstellen, weil ich ihr Engagement gewiss nicht bagatellisieren will, indem ich es als eine Art persönliche Rache darstelle. Ich bin Chemikerin und verstehe nichts von Psychoanalyse.<
Sie rollte noch ein Stück zurück, so dass ihr Kopf nur wenige Zentimeter von den Bücherregalen entfernt war. Die Beine einer bräunlichen Stoffpuppe, die dort saß, berührten fast ihr rechtes Ohr. Sie nahm sie herunter, setzte sie sich auf den Schoß und spielte mit dem schwarzen Haar.
»Sie müssen wissen, ich hatte eine hohe Meinung von ihr. Sie war großartig und glaubte an ihre Ideale. Was leider viel zu selten ist.Vielleicht sollte ich Ihnen erklären, wieso ich bei diesem Ausschuss mitgemacht habe. Denn die Sache lässt sich ja offensichtlich nicht wegreden.«
»Ja, bitte«, sagte ich, »das wäre sehr hilfreich.«
Sie holte tief Luft und streichelte die Puppe. »Ich habe anfangs Medizin studiert. Während des Grundstudiums in Chicago habe ich mich freiwillig für die Mitarbeit in einem Haus für misshandelte Frauen in einer der ärmsten Gegenden der Stadt gemeldet. Wissen Sie, meine Eltern sind beide Ärzte und Liberale vom alten Schlag. Sie hatten mir beigebracht, es sei nobel, anderen Menschen zu helfen. Ich dachte, ich hätte zu Hause alles gehört und gelernt, aber in dem Frauenhaus habe ich eine ganz neue, schreckliche Welt kennengelernt. Ich war entsetzt. Diese Erfahrung war auch ein Grund dafür, das Medizinstudium abzubrechen.«
Ihre Finger spielten noch immer mit dem Haar der Puppe. »Die Frauen, mit denen ich dort gearbeitet habe - die, die ihre Angst überwunden hatten und nicht mehr verdrängten -, hatten den gleichen Ausdruck in den Augen, wie ich ihn manchmal bei Hope gesehen habe. Verletzt und zornig zugleich - grimmig ist wohl das beste Wort dafür. In Hopes Fall stand das in einem auffälligen Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten.«
»Wie verhielt sie sich denn sonst?«
»Kühl und besonnen. Sehr kühl und besonnen.«
»Beherrscht.<
»Unbedingt. Sie war eine Führungspersönlichkeit, hatte einen äußerst
Weitere Kostenlose Bücher