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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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genauen Umständen zu erkundigen. Madame Moulin konnte sie schlecht darauf ansprechen, da diese dann gewusst hätte, dass sie in ihren Unterlagen gewühlt hatte.
     
    Scheppernd stellte Nathan zwei Tassen auf den Tisch. Dann schlängelte er sich noch mal zum Tresen und kam mit einem Teller zurück, auf dem ein riesiger Blaubeermuffin thronte. Fragend zog Lucy ihre Augenbrauen nach oben.
    »Die XXL-Variante gibt’s nur heute«, beantwortete Nathan ihre stumme Frage. »Es war der Letzte. Ich dachte, wir könnten ihn brüderlich teilen.«
    »Meinetwegen«, sagte Lucy großzügig und spürte, dass sie sehr hungrig war. Ihr Magen knurrte.
    Nathan grinste und beugte sich zu ihr. »Ich könnte noch einen Donut holen, falls du nicht satt wirst.«
    Ohne zu antworten, griff Lucy nach dem Muffin und zupfte das Papier ab. Dann brach sie den Kuchen in zwei Hälften und nahm sich die größere.
    Der Muffin war noch warm und butterweich, stellte sie nach dem ersten Bissen fest und bedauerte gleichzeitig, dass es nicht mehr davon gab.
     «Satt?«, fragte Nathan, als Lucy sich die Finger an einer Serviette säuberte.
    »Geht so«, antwortete sie.
    »Ich könnte noch etwas anderes holen«, bot Nathan an.
    Lucy lächelte. »Nein. Nicht nötig.« Sie rührte in ihrem Tee.
    »Du bist bei deinem Großvater aufgewachsen?«, fragte sie einem plötzlichen Impuls folgend.
    Nathan richtete sich auf. Er wirkte erschrocken, fand Lucy.
    »Entschuldige. Ich wollte nicht indiskret sein«, beeilte sie sich zu sagen.
    »Woher weißt du das?«, stellte Nathan eine Gegenfrage, ohne auf ihre Entschuldigung einzugehen.
    »Miss Olive hat es mir erzählt«, gestand sie und ärgerte sich über sich selbst. Ihr war es auch nicht recht, wenn die Leute erfuhren, dass sie eine Waise war.
    »Sie war Studentin bei deinem Großvater, und als er aufhörte zu lehren, war sie ziemlich enttäuscht. Sie hat mir erzählt, dass er ein außerordentlich guter Professor war.« Lucy verschwieg, dass Miss Olive gesagt hatte: außerordentlich gut aussehend.
    »Ja, er hat sich zurückgezogen, um mich großzuziehen. Ich bin froh, dass er diese Entscheidung getroffen hat«, erklärte Nathan langsam, und musterte sie dabei durchdringend.
    »Du bist bei deinen Eltern aufgewachsen«, stellte er mehr fest, als dass er fragte.
    Lucy schüttelte den Kopf. Jetzt gab es kein Zurück.
    »Nein«, sagte sie. »Nein, ich bin in einem Kinderheim groß geworden.«
    »Deine Eltern sind tot?«, hakte Nathan nach.
    Lucy zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind. Ich bin auf den Stufen einer Kirche gefunden worden.« Sie lachte freudlos auf. »Ich weiß nicht, wer mich dort abgelegt hat.«
    Lucy blickte aus dem Fenster. Vor dem Geschäft lief ein kleines Mädchen an der Hand ihrer Mutter vorbei. Wie oft hatte sie sich in dem Alter gewünscht zu wissen, wer ihre Mutter war und weshalb sie sie allein gelassen hatte.
    »Meine Eltern haben mich ebenfalls verlassen«, hörte sie Nathans Stimme. Lucy sah auf.
    Nathan rührte Zucker in seinen Latte macchiato. »Offenbar wollten sie kein Kind. Sie haben mich bei meinem Großvater gelassen und sind verschwunden. Wir haben nie wieder von ihnen gehört. Keine Ahnung, ob ich ihnen tatsächlich so egal war, oder ob sie irgendwann ein zu schlechtes Gewissen hatten, um mich abzuholen.« Seine Stimme klang traurig, aber vor allem zornig.
    »Das tut mir leid«, sagte sie leise und legte automatisch tröstend ihre Hand auf seine. »Mir nicht«, antwortete Nathan. »Ich war glücklich bei meinem Großvater.« Jetzt klang er trotzig und entzog ihr seinen Arm.
    Ein wenig gekränkt umfasste sie ihren warmen Kaffeebecher.
    »Macht dir die Arbeit im Archiv Spaß?«, fragte Nathan.
    Lucy war erleichtert, dass er das Thema wechselte. »Ja, es gefällt mir«, antwortete sie zögernd. Sie schwieg einen Moment.
    »Das klingt nach einem Aber«, hakte er nach.
    Lucy nickte und überlegte, wie sie beginnen sollte.
    Er sah sie aufmunternd an und es fiel ihr schwer, länger böse zu sein.
    »Du warst nie in dem Archiv«, begann sie.
    Nathan schüttelte den Kopf.
    »Es ist gigantisch, absolut atemberaubend, aber schrecklich unübersichtlich. Gleich an meinem ersten Tag ist mir etwas sehr Ungewöhnliches passiert.« Sie machte eine Pause und überlegte, wie viel sie preisgeben konnte. Aber da er ihr Mal schon gesehen hatte, würden ihn die anderen Enthüllungen vielleicht nicht schocken.
    »Was war das?«, fragte Nathan und rückte

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