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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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Dann lauschte sie der Stimme am anderen Ende der Leitung. Nathan beobachtete sie. Lucy schien von Sekunde zu Sekunde blasser zu werden. Was zum Teufel erzählte ihr diese Madame Moulin da.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Lucy plötzlich, stand auf und trat an das kleine Fenster, das zum Hof hinausführte. Gedankenverloren zupfte sie an den Blättern des Basilikums, der in einem blauen Topf auf dem Fensterbrett stand.
    Nach einer Weile trat Nathan hinter sie und hielt ihre Hand fest. »Das Kraut hat dir nichts getan«, flüsterte er ihr in das andere Ohr. Ein Lächeln huschte über Lucys Gesicht. »Und Vikar McLean soll wirklich ermordet worden sein? Wer sollte so etwas tun?«
    Nathan hinter ihr erstarrte und wich zurück.
    Lucy nickte jetzt.
    »Ich verstehe. Ja, ich werde kommen, gleich morgen. Nein, ich sage niemandem, wo ich hinfahre. Ja, versprochen. Bis dann.«
    »Du fährst weg?«, fragte Nathan, nachdem Lucy das Gespräch beendet hatte.
    Geistesabwesend nickte diese.
    »Willst du mir sagen, was sie dir erzählt hat?«, fragte er weiter.
    Lucy wandte sich zu ihm um. »Unser Vikar ist ermordet worden. Stell dir vor, jemand hat die Radmuttern seines Wagens gelockert. Das kann doch keine Absicht gewesen sein? Wer kann schon Interesse daran haben, einen Geistlichen umzubringen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein dunkles Geheimnis hatte. In unserem Dorf kann gar nichts geheim bleiben.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Er war der Einzige, der mir hätte sagen können, wer meine Eltern waren.«
    Alarmiert sah Nathan sie an. »Wie kommst du darauf?«, fragte er.
    »Ich habe mal heimlich in meine Akte geschaut. Die meisten Kinder wussten ja, woher sie kamen. Nur ich nicht. Sie haben mich deswegen geärgert. Also wollte ich wissen, was in meiner Akte steht. Vikar McLean hat mich auf den Stufen seiner Kirche gefunden, stand da drin. Ich habe mir oft vorgenommen, ihn darauf anzusprechen. Aber ich habe mich nie getraut. Ich wollte nicht, dass Madame Moulin erfährt, dass ich in ihren Unterlagen gewühlt habe. Jetzt ist es zu spät.«
    »Standet ihr euch nah?«
    »Der Vikar und ich? Komisch, dass du mich das fragst. Nein. Ich habe kaum jemals ein Wort mit ihm gewechselt. Ich glaube, er mochte mich nicht. Zu den anderen Kindern war er immer viel netter als zu mir.«
    »Du bist ganz blass geworden, deshalb dachte ich …«, erklärte Nathan.
    »Das lag nicht daran, dass der Vikar tot ist. Es ist …« Lucy schwieg und Nathan sah ihr an, dass sie überlegte, was sie ihm erzählen sollte.
    Dann gab sie sich einen Ruck. »Er hat mir etwas hinterlassen. Merkwürdig, oder? Einen Brief und ein Medaillon. Madame Moulin glaubt, dass beides meinen Eltern gehörte.« Lucys Stimme war fast zu einem Flüstern geworden. Nathan hatte Schwierigkeiten, sie zu verstehen.
    »Nach so vielen Jahren«, flüsterte sie. »So viele Jahre hat er mich warten lassen.«
    »Er wird seine Gründe gehabt haben«, sagte Nathan und strich Lucy übers Haar.
    Sie sah ihn an. Zorn blitzte in ihren Augen. »Was sollen das für Gründe gewesen sein?« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. »Welchen Grund kann es geben, der so wichtig ist, dass man ein Kind im Unklaren darüber lässt, woher es kommt. Ja, ich war glücklich bei Madame Moulin. Aber trotzdem gab es viele Momente, in denen ich hoffte, dass meine Mom und mein Dad kommen würden, um mich zu holen. Leider ist das nie geschehen. Und nun stellt sich heraus, dass ich sie hätte finden können, dass sie mir einen Brief geschrieben haben. Ein Brief, der sicher alles erklärt …«
    Nathan zog Lucy an sich und sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
    »Was steht in dem Brief?«, fragte er mit belegter Stimme.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Lucy und ihre Stimme klang dumpf. Sie weigerte sich, ihren Kopf zu heben und murmelte nur in Nathans Pulli. »Der Brief wurde gestohlen.«
    Erleichterung durchströmte Nathan.
    »Hat diese Madame Moulin ihn gelesen?«, fragte er vorsichtig weiter.
    »Nein, Vikar McLean hatte ihr davon abgeraten. Es ist zu gefährlich, schrieb er.« Lucy lachte ein freudloses Lachen an seiner Brust. »Was soll an einem Brief schon gefährlich sein. Vor allem an einem, der jahrelang im Schreibtisch eines Vikars vor sich hingammelte.«
    Ein kluger Mann dachte Nathan.
     «Wahrscheinlich wollte er sich nur wichtigmachen«, beschwichtigte er sie. »Kann ich dich allein lassen?«, fragte er dann unvermittelt. »Ich habe noch einiges zu erledigen.«
    »Wenn es sein muss«, sagte

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