Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
Vom Netzwerk:
weil er dann Baguette mit Bratwurst und Ei statt Schinkensalat bestellt. Dann tropft ihm unweigerlich eine widerliche Mischung aus HP-Sauce, Ketchup und Eigelb auf das Kinn (von wo er sie wegwischt) oder auf seine traurige braune Krawatte (wo sie bleibt).
    »Wirklich?«, fragt er, oder zumindest klingt es durch das halb zerkaute Fleisch-Brot-Gemisch in seinem Mund so.
    Ich sehe ihn angewidert an und hoffe, dass er es merkt.
    »Vielleicht hilft es ja«, sage ich. »Man kann nie wissen.«
    Er zieht die Augenbrauen zusammen, wirkt verwirrt, aber so genau kann ich das bei ihm nie sagen. Misstrauen. Vielleicht ist es Misstrauen.
    »Oder auch nicht. Das war nur so eine Idee.«
    Er schluckt den letzten Bissen herunter und schlürft sein Pint. Dann räuspert er sich. »Das ist wirklich ein sehr nettes Angebot, Colin. Danke. Aber …«
    »Aber?«
    »Na ja – es ist nur, also Audrey … fühlt sich – ich weiß auch nicht wie ich sagen soll – nicht so richtig wohl in deiner Gegenwart.«
    »Nicht so richtig wohl?« Es ärgert mich zwar, dass ich wiederhole, was Vaughn sagt, aber mir fällt keine bessere Antwort ein.
    »Nach unserem Abendessen hat sie zu mir gesagt, dass sie dich etwas seltsam findet. Wie dem auch sei, tut mir leid. Ich glaube kaum, dass du eine große Hilfe wärst. Zumindest hierbei nicht.«
    »Seltsam? Was um alles in der Welt …« Ich sehe Vaughn an und blicke dann auf die Reste meines Sandwiches, das mir plötzlich unappetitlich und labbrig erscheint. Aber »seltsam« könnte auch was Gutes bedeuten, oder? Vielleicht meinte sie mit »seltsam« ja ungewöhnlich – mysteriös – geheimnisvoll.
    »Ich denke, das lag einfach an dem Abend«, sagt Vaughn schnell und bemüht, diplomatisch zu bleiben. »Sie war schon komisch drauf, bevor du gekommen bist. Liegt vermutlich an den Hormonen.«
    Ich nicke und murmele irgendetwas Zustimmendes, doch innerlich spüre ich, wie das Blut in meinen Ohren rauscht. Als ich den Pub verlasse und zurück ins Büro gehe, kann ich mich kaum konzentrieren. Ich spüre, wie das Ganze an mir zehrt, verspüre plötzlich das Verlangen, Audrey aufzusuchen, mit ihr zu reden und sie zu fragen, was sie mit »seltsam« gemeint hatte. Selbst Garth und seine ekelhaften Wiederkäuer-Geräusche können mich nicht ablenken. Ich arbeite an einem Dokument für die Ausschusstagung kommenden Montag, doch Audrey geht mir einfach nicht aus dem Kopf, keine Sekunde lang.

 
    Annabel
    Im Krankenhaus hängte man mich an den Tropf und brachte mich zum Psychiater, der mir Antidepressiva verschrieb. Der Psychiater sagte zu mir, ich hätte eine »Episode« hinter mir. Früher hätte man so etwas wohl als Nervenzusammenbruch bezeichnet. Er sagte, ich hätte viel durchmachen müssen und wäre nicht in der Lage gewesen, diesen Stress zu verarbeiten, weshalb mein Verstand aus Gründen des Selbsterhaltungstriebs abgeschaltet hätte.
    Das klang zwar plausibel, doch irgendwas stimmte daran nicht. Meine Erinnerungen an die vergangene Woche waren nicht einfach nur verschwommen, sondern unvollständig. Ich hatte das Gefühl, es wären Dinge passiert, an die ich mich nicht erinnern konnte. Ein Teil von mir konnte es kaum erwarten nach Hause zu kommen, die Tür zu schließen und alles zu vergessen, wieder alleine und mit allem in Frieden zu sein.
    Als ich das einer Krankenschwester erzählte, führte das zu einem weiteren Besuch des Psychiaters, der mich zuerst durch die Blume und dann ganz direkt fragte, ob ich Selbstmordgedanken hege. Das hatte er mich unter anderem zuvor schon einmal gefragt, und ich hatte versucht, auf alles so gut wie möglich zu antworten.
    »Eigentlich nicht«, gab ich zur Antwort.
    »Ist Ihnen manchmal danach?«
    »Glaube ich nicht.« Selbstmord ist eine aktive Handlung, etwas, das man tun muss; das würde bedeuten, dass ich einen Prozess in Gang setzen musste, der Aktivität von mir verlangte. Nein, ich wollte keinerlei Aktivität. Ich wollte einfach nur verlöschen. Ich wollte still daliegen, die Welt konnte sich ohne mich weiterdrehen. Niemand hatte das Wort TOD in den Mund genommen, doch es war in meinem Kopf. Genau wie das Wort LEBEN. Aus irgendeinem Grund erschienen mir diese beiden Dinge ein und dasselbe zu sein, durch ein unsichtbares Band miteinander verknüpft, das Ende und der Anfang und wieder das Ende, ein unendlicher Kreislauf, der sich wie ein Rad immerfort drehte.
    Wenn ich das Leben nicht fürchtete, fürchtete ich auch nicht den Tod. Sie waren ein und dasselbe.
    Ich denke,

Weitere Kostenlose Bücher