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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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der schlaksige Kerl, den natürlich jeder für schwul hielt. Inzwischen hatte ich Freunde gefunden, die ich liebte und denen ich vertraute. Und einen älteren Mann, der mir zeigte, was es bedeutet, geliebt zu werden, so wie man ist. Ich hatte zwar kein Geld, begann aber ernsthaft über eine Geschlechtsumwandlung nachzudenken. Das ging sogar so weit, dass ich zu meinem Hausarzt ging und mich erkundigte, welche Kosten die Krankenkasse übernehmen würde.
    Mom wusste Bescheid, doch wir waren uns einig, dass es noch zu früh war, Dad davon zu erzählen. Er würde Zeit brauchen und es nicht einfach über Nacht akzeptieren können. Sie wollte ihm sagen, dass ich schwul sei, doch das stimmte nicht ganz. Ich war nicht schwul, ich war eine Frau, die sich zu Männern hingezogen fühlte, genau wie meine Schwestern auch. Meine Genitalien und meine Hormone waren falsch. Aus meiner Sicht hatte ich einfach eine Krankheit, ein physisches Handicap, weshalb meine Geschlechtsteile verformt waren und nicht richtig funktionierten. Für mich war das nichts anderes als Diabetes oder eine Schilddrüsenüberfunktion oder sonst eine Krankheit, die aus einer Fehlfunktion der Enzyme oder Hormone resultiert.
    Sie sagte es ihm nicht, sondern überließ es mir, den richtigen Zeitpunkt zu wählen.
    Natürlich kam der nie, und irgendwann war es zu spät. Ich besuchte die Gender Identity Clinic und lebte wie eine Frau. Das war in London relativ leicht, vor allem in der kreativen, aufgeschlossenen Modebranche, in der ich mich bewegte. Alles fühlte sich zum ersten Mal richtig an – bis auf meine Beziehung zu Derek, die in eine Krise geriet. Ich war nicht schwul, er sehr wohl, und obwohl er mich liebte, wollte er keinen weiblichen Partner haben.
    Ich zog aus seiner Londoner Wohnung aus und wieder mit ein paar Freunden aus Collegezeiten zusammen.
    An meinen einundzwanzigsten Geburtstag fuhr ich, noch betrunken von einer Wochenendparty, mit dem Zug nach Hause. Unser Haus lag in der Nähe des Bahnhofs, ich hatte im Zug geschlafen und war noch ziemlich benebelt. Es war ein Vormittag an einem ganz normalen Tag; mein Dad würde bei der Arbeit sein. Allerdings hatte meine Mutter mir verschwiegen, dass er seit einem Monat wegen Depressionen krankgeschrieben war. Ich steckte also meinen Schlüssel in die Tür, sperrte auf, ging ins Wohnzimmer und erwartete Mom dort vorzufinden. Sie würde Tee machen und mir ein Stück von dem Kuchen servieren, den sie für mich gebacken hatte, auch wenn sie nicht damit rechnen konnte, dass ich nach Hause kam. Doch sie war nicht da. Nur er. Er sah sich gerade die Nachrichten auf N24 an, blickte auf und sah mich, seine dritte Tochter – wenn er sie nur erkannt hätte –, im Wohnzimmer stehen. Doch ich war damals immer noch Edward – nur dass ich einen kurzen Rock und Plateauschuhe trug. Er starrte mich mit offenem Mund von Kopf bis Fuß an. Als ich ihn sah, war es, als würde ich in eiskaltes Wasser getaucht. Mehr als ein »Hallo, Dad« bekam ich nicht heraus.
    Er stieß einen schmerzvollen, wütenden Schrei aus, schnellte vom Sofa hoch und stürzte sich auf mich. Ich floh so schnell ich konnte aus dem Haus, torkelte die Straße hinauf zum Bahnhof und dachte, er würde mir folgen und mich jeden Augenblick mit einem Faustschlag niederstrecken. Doch als ich am Ende der Straße angekommen war und zurückblickte, war er nirgends zu sehen.
    Als ich wieder in London war, rief ich Mom an. Sie war inzwischen von der Arbeit nach Hause gekommen und ihm begegnet. Es ginge ihm gut, versicherte sie mir. Doch das stimmte natürlich nicht. Sie versuchte, mich von allem abzuschirmen, doch eine Woche später erhängte er sich. Das lag natürlich nicht nur an mir, oder zumindest behauptete das meine Mom. Aber vielleicht wollte sie auch nur nett zu mir sein.
    Sie bat mich, bei der Beerdigung etwas »Ordentliches« anzuziehen. Das verletzte mich. Der Tod meines Dads machte mir zu schaffen, ich hatte ihn sehr geliebt. Und die Falschheit meiner Mutter, die mich nur scheinbar so akzeptierte, wie ich war, versetzte mir einen weiteren Stich. Meine Schwestern wandten sich von mir ab, obwohl sie wussten, dass ich mich verändert hatte, weil sie mich in London besucht und mein wahres Ich gesehen hatten. Zum Begräbnis trug ich eine maßgeschneiderte Hose und ließ mir die Haare machen. Das war nicht mein üblicher Look, sondern ein Kompromiss, doch für sie reichte es immer noch nicht.
    Sie sprachen nie wieder ein Wort mit mir, und auch ich sprach

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