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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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mit Vaughn würden mich aufheitern, so hatte ich mich gewaltig geirrt. Allein schon die Bar mit ihrem braunen Teppichboden und den wackeligen Barhockern hat nichts Aufheiterndes, und auch Vaughns Miene und sein Verhalten tragen nicht gerade zur Verbesserung der Stimmung bei. Ihm scheint genauso elend zumute zu sein wie mir.
    »Wie geht es Audrey?«, frage ich, nachdem ich mein Sandwich bestellt und mich ihm gegenübergesetzt habe.
    »Sie hat Nein gesagt«, sagt er trübselig.
    »Nein? Wirklich? Warum denn?«
    »Sie hat gesagt, dass sie sich noch nicht binden will.«
    »Ich dachte, sie hätte dir gegenüber gewisse Andeutungen gemacht?«
    »Na ja, so habe ich das interpretiert. Aber offenbar lag ich total daneben.«
    Ich trinke einen großen Schluck von meinem Pint Bitterbier. Es schmeckt schal. »Wie meinst du das? Was will sie denn?«
    Vaughn seufzt schwer. »Sag du es mir, Colin. Ich werde wohl niemals rausfinden, was die Frauen von uns wollen oder von uns erwarten.«
    »Sie hat also Schluss mit dir gemacht«, sage ich und versuche meine Worte mit Bedacht zu wählen, was mir bestimmt nicht gelingt.
    Er sieht mich entsetzt an. »Nein, überhaupt nicht!«
    »Sondern?«
    »Sie will sich einfach noch nicht verloben, das ist alles.«
    Ich gebe ein Geräusch von mir, das Vaughn Mitgefühl für ihn, Entsetzen über Audrey und Erleichterung darüber, dass sie noch eine Beziehung führen, signalisieren soll. Es hört sich wie ein »Hmmmm« und »Pfffff« an.
    »Dieses Pint schmeckt furchtbar«, sage ich nach einer Weile, stehe auf und bitte darum, dass man das Fass auswechselt.
    Vaughns Probleme sind im Vergleich zu meinen winzig und unbedeutend. Ich habe ein Subjekt verloren, genauer gesagt, die Frau mit der Tasche. So was ist mir schon lange nicht mehr passiert – nicht mehr, seit ich genau darauf achte, mit wem ich mich einlasse und mit wem nicht.
    Ich habe sie gestern wie vereinbart um genau sechs Uhr angerufen, aber es ging niemand ran. Ich habe mich gefragt, ob sie vielleicht bereits verschieden wäre und ihre Verwandlung begonnen hätte – doch das wäre ein wenig zu schnell gegangen, selbst ohne Flüssigkeitszufuhr. Auf dem Heimweg fuhr ich an ihrem Haus vorbei und sah einen Krankenwagen und einen Streifenwagen vor ihrer Tür stehen.
    Sosehr ich mir auch vorzumachen versuche, wie wenig mich das stört, so sauer bin ich auch wegen meiner Nachlässigkeit. Ich habe sie enttäuscht, aber was noch viel wichtiger ist, ich habe mich selbst enttäuscht. Außerdem stellt es ein großes Risiko dar, jemanden zu verlieren, wenn die Polizei bereits Interesse für meine Aktivitäten zeigt.
    Ich habe in der Vergangenheit bereits andere verloren, vor allem ganz am Anfang. Das waren die, die sich nicht ganz sicher oder vielleicht etwas weniger einsam waren als vermutet. Ich dachte, dass sich früher oder später irgendwer – vielleicht ein Familienmitglied – über mich beschweren oder die Behörden alarmieren würde, doch ich wurde diesbezüglich nie kontaktiert. Je weiter ich meine Technik verfeinerte, desto mehr achtete ich auch darauf, dass man mich nicht entdeckte. Eine besonders geniale Idee war, dass ich ihnen die Handys wegnahm und sie mit einem Ersatztelefon ausstattete, um mit ihnen in Kontakt zu bleiben. Des Öfteren musste ich beruhigende Antworten auf SMS-Nachrichten von Leuten schreiben, die sich Sorgen machten. Ein-oder zweimal musste ich auch Leute aufgeben und konnte sie nicht mehr besuchen, weil das Risiko bestand, dass sie entdeckt würden.
    Jeder Verlust ist eine Schmach. Manche waren wirklich interessant: diejenigen, auf deren Verwandlung ich mich besonders gefreut hatte.
    Den ganzen Tag schon versuche ich mich selbst davon zu überzeugen, dass es keinerlei Hinweise gibt, die mich mit ihr in Verbindung bringen. Und falls doch, was war schon dabei? Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Sie hat mich um Hilfe gebeten, ich habe sie ihr gegeben. Ich habe nichts Schlimmes getan.
    Ich sitze neben dem mürrischen Vaughn und kann eine leichte Erektion nicht verhindern, wenn ich daran denke, dass Audrey ihn zurückgewiesen hat. Denn genau so ist es, egal wie er es dreht und wendet. Sie will ihm gegenüber noch keine Verpflichtung eingehen, das könnte also heißen, dass sie nicht abgeneigt wäre, sich mit jemand anderem einzulassen. Mit mir zum Beispiel …
    »Soll ich mit ihr reden?«, frage ich ihn.
    Vaughn blickt von seinem Essen auf. Ich weiß genau, wann er schlecht drauf ist,

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